Noch am Samstag hatte die Schanghaier Seuchenschutzbehörde vereinzelte Forderungen nach einem Lockdown zurückgewiesen. Zur Begründung hatte es geheißen, die Bedeutung der 26-Millionen-Einwohner-Stadt für die nationale und globale Wirtschaft sei einfach zu groß, um sie lahmzulegen. Am Sonntagabend wurde dann aber doch ein Lockdown in zwei Phasen verkündet: Von Montag an dürfen die Bewohner der Stadtteile östlich des Huangpu-Flusses ihre Wohnung fünf Tage lang nicht verlassen. Das betrifft auch den Finanz­dis­trikt Pudong.

Friederike Böge

Politische Korrespondentin für China, Nordkorea und die Mongolei.

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Von Freitag an werden dann die Stadtteile westlich des Flusses für fünf Tage abgeriegelt. Schnellstraßen und Brücken in den betroffenen Gebieten wurden von der Polizei gesperrt. Nachdem die Maßnahmen am Sonntagabend bekannt geworden waren, kam es vielerorts zu Panikkäufen. Videos von leeren Supermarktregalen und Rangeleien unter Kunden wurden millionenfach im Internet angeklickt. Dabei waren kurz zuvor noch zwei Personen von der Polizei abgestraft worden, weil sie angebliche „Gerüchte“ über einen bevorstehenden Lockdown verbreitet hatten.

Eigentlich hatte Staats- und Parteichef Xi Jinping vor einigen Tagen verkündet, dass die Kosten der Seuchenschutzmaßnahmen für die Wirtschaft und die Auswirkungen auf das Leben der Bevölkerung „minimiert“ werden sollten. Doch angesichts der rapide steigenden Corona-Zahlen im ganzen Land und insbesondere in Schanghai greift nun selbst die modernste Metropole des Landes auf die Null-Covid-Strategie zurück. Allein am Montag wurden 3500 Neuinfektionen in Schanghai gemeldet. Allerdings wurden nur bei 50 der Betroffenen Symptome festgestellt.

Die Nerven liegen blank

Eine Begründung für die Zweiteilung der Stadt gab die Stadtverwaltung zunächst nicht. Die Staatsmedien verbreiteten Bilder vom Gelände der Weltausstellung Expo von 2010, das in ein riesiges Bettenlager zu Quarantänezwecken umgewandelt wurde. Flughäfen und Bahnhöfe seien weiter in Betrieb, teilten die Behörden mit. Zum Verlassen der Stadt sei ein negativer PCR-Test der vergangenen 48 Stunden nötig. Manche Internetnutzer sprachen von einer Lage, die in die Geschichtsbücher eingehen werde, und erinnerten an die Schlacht um Schanghai von 1937 gegen die japanischen Besatzer, bei der die Stadt schon einmal in zwei Teile geteilt worden sei.

Die chinesische Null-Covid-Strategie hat bislang bewirkt, dass das Land sehr viel weniger Corona-Tote zu beklagen hat als die meisten anderen Länder der Welt. Die hoch ansteckende Omikron-Variante und die im Vergleich geringere Schutzwirkung der chinesischen Impfstoffe stellen die Strategie aber zunehmend auf die Probe. Zudem wächst der Unmut über willkürliche, unverhältnismäßige und unvorhersehbare Maßnahmen.

Vor einigen Tagen starb eine Krankenschwester an einem Asthma-Anfall, nachdem sie in ihrem eigenen Krankenhaus nicht behandelt werden konnte, weil die Notaufnahme wegen Corona-Maßnahmen geschlossen war. Die lokale Gesundheitsbehörde bestätigte später, dass am gleichen Tag 39 Krankenhäuser aufgrund von Seuchenschutzauflagen geschlossen worden waren. Der Fall lenkte abermals die Aufmerksamkeit auf Patienten mit chronischen und lebensbedrohlichen Krankheiten, die wegen der Maßnahmen unzureichenden Zugang zu medizinischer Versorgung haben, teils mit tödlichen Folgen.

Auch wegen der hohen Einkommensverluste, die vom chinesischen Staat nicht abgefedert werden, liegen in abgeriegelten Wohngebieten die Nerven blank. Im ganzen Land waren noch vor dem Lockdown in Schanghai laut Schätzungen mehr als 50 Millionen Menschen in ihren Wohnungen eingeschlossen. Bewohner der südchinesischen Stadt Shenzhen machten ihrem Ärger kürzlich lautstark Luft, wie ein Video zeigte, bevor es von den Zensoren aus dem Internet gelöscht wurde.