Der russische Oppositionelle Boris Nemzow ist vor seiner Ermordung vor sieben Jahren offenbar fast ein Jahr lang von einem Offizier des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB beschattet worden, der mutmaßlich der Koordinator der Giftanschläge auf Alexej Nawalnyj und andere russische Regimegegner war. Das geht aus einem Bericht des Rechercheportals Bellingcat, des russischen Onlinemediums The Insider und der BBC hervor. Nemzow wurde am Abend des 27. Februar 2015 auf einer Brücke im Zentrum von Moskau in Sichtweite des Kremls erschossen.

Reinhard Veser

Redakteur in der Politik.

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Als Täter wurden von einem russischen Gericht im Jahr 2017 mehrere Tschetschenen verurteilt. Die Spur der Organisatoren des Mordes führte nach Recherchen unabhängiger russischer Medien in die Umgebung des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, doch wurde diese Spur von der Justiz nicht verfolgt. Der mutmaßliche Organisator des Mordes ist nach Kadyrows Angaben derzeit auf russischer Seite an den Kämpfen um Mariupol beteiligt.

Immer auf gleichen Routen unterwegs

Laut dem Bellingcat-Bericht war bei allen Inlandsreisen Nemzows zwischen Mai 2014 und Mitte Februar 2015 der FSB-Mann Walerij Sucharjow auf den gleichen Routen unterwegs. Aus früheren Recherchen von Bellingcat ging hervor, dass Sucharjow mehreren Oppositionellen über längere Zeit hinterhergereist ist, auf die dann Giftanschläge verübt worden sind. Der bekannteste Fall ist der des Oppositionsführers Alexej Nawalnyj im August 2020; in den beiden Wochen vor der Vergiftung Nawalnyjs telefonierte Sucharjow Dutzende Male mit den vermutlich für die Ausführung des Anschlags verantwortlichen Agenten. Zu diesen Schlüssen kam Bellingcat durch die Auswertung von Reisedaten und Telefonverbindungen, die in Russland auf einem Schwarzmarkt für Daten erhältlich sind.

Hinweise auf eine direkte Verbindung zwischen Sucharjow und der Ermordung Nemzows gibt es nicht. Die Beschattung Nemzows durch ihn endete Mitte Februar mit der vorletzten Reise des Oppositionspolitikers vor seinem Tod. Dennoch lassen die Recherchen von Bellingcat den Mord in einem neuen Licht erscheinen. Zum einen stellt sich die Frage nach dem Zweck der Beschattung: Plante der FSB eine Tötung Nemzows? Er war einer der bekanntesten russischen Oppositionellen, organisierte Proteste gegen Moskaus Krieg in der Ostukraine und soll 2014 bei der Erstellung westlicher Sanktionslisten mitgewirkt haben. Zudem stellt sich die Frage, ob es dem FSB entgangen sein konnte, dass auch die tschetschenischen Attentäter Nemzow über Monate gefolgt sind. Das wurde durch den Gerichtsprozess bekannt.

Nach dem Tod Nemzows wurde in Moskau spekuliert, Hintergrund der Tat könne ein Konkurrenzkampf zwischen dem Inlandsgeheimdienst und Kadyrow sein, der dem FSB demonstrieren wollte, zu was er mitten in der russischen Hauptstadt in der Lage ist. Die Festnahme des Täters wurde zehn Tage nach dem Mord von FSB-Chef Alexandr Bortnikow bekanntgegeben. Am selben Tag versuchte der FSB, den mutmaßlichen Organisator des Mordes – einen Verwandten führender tschetschenischer Politiker – im Nordkaukasus festzunehmen, was aber von den Leuten Kadyrows verhindert wurde.