Postfaschisten in Südtirol

Im Norden Italiens, einem der wohlhabendsten Landstriche, wird man in den nächsten Monaten und Jahren womöglich einem Polit-Crash in Zeitlupe zuschauen können: Wie eine über viele Jahrzehnte herrschende christdemokratische Partei erst die Postfaschisten in die Regierung holt, sie dadurch im Land etabliert, sich in der Folge von Rechtsaußen treiben lässt – und bei Wahlen weiter abrutscht. Wetten?

Heute stellt sich Landeshauptmann Arno Kompatscher von der Südtiroler Volkspartei (SVP) im Bozener Parlament der Wiederwahl. Weil die Konservativen beim Urnengang im Oktober auf rund 35 Prozent abgesackt waren, geht Kompatscher nun ein Bündnis mit der postfaschistischen Fratelli d’Italia ein, der Partei der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

Auch dabei in diesem Mitte-Rechtsaußen-Bündnis: die Südtiroler Variante der FPÖ, die Lega von Matteo Salvini sowie eine weitere Partei mit italienischem Hintergrund. Bisher regierte die SVP bereits mit der Lega.

Was wird aus Südtirol werden? Das Modell für eine Annäherung zwischen Konservativen und Rechtsaußen auch auf europäischer Ebene, nach den Wahlen zum Europaparlament im Juni? »Wir hier in der künftigen Landesregierung von Südtirol wollen keine Plattform für irgend­etwas Größeres sein«, sagt Kompatscher.

Vielleicht auch besser so.

  • Koalitionsbildung in Bozen: Warum künftig in Südtirol die Postfaschisten mitregieren 

Unsinkbare Schiffe

Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie. Das ist so ein Satz für die Ewigkeit: Weil wir Deutschlands Demokratie gar nicht anders denken können als wehrhaft.

Was denn sonst? Das sind doch die Lehren aus Weimar, wie es so schön heißt. Die zweite deutsche Demokratie wird bestimmt nicht die Fehler der ersten begehen.

Wird sie nicht?

Ich habe den Eindruck, wir sind alle miteinander etwas zu gelassen. Hier sind die Fakten: Verfassungsfeinde schicken sich an, in wenigen Monaten in drei Bundesländern die jeweils stärkste Fraktion zu stellen. Auf Bundesebene liegt die AfD in Umfragen vor der Partei des Kanzlers. Aber wir so: Keine Sorge, unsere Demokratie, ja, die ist wehrhaft. Berlin ist nicht Weimar.

Demokratie, schreibt der Politikwissenschaftler Philip Manow, sei »grundsätzlich immerzu prekär«. Heißt: Man kann nie ausschließen, dass etwas schiefgeht. »Grundkonstante der Demokratie« nennt Manow diese Unsicherheit. Es sind auch schon unsinkbare Schiffe gesunken.

Sehen wir diese Unsicherheit wirklich? Oder macht uns ausgerechnet das Wehrhaft-Mantra blind und taub für die Gefahr? Tatsächlich, das Arsenal, das das Grundgesetz bietet, ist gewaltig: Parteiverbot, Verwirkung von Grundrechten, Organisationsverbot, Ewigkeitsklausel.

Nur: Das Vorhandensein eines solchen Arsenals allein schützt die Demokratie nicht. Man muss sich schon auch der Instrumente bedienen wollen. Sie anwenden. Wie lange sollte denn noch zugewartet werden, bevor ein AfD-Verbotsverfahren eröffnet wird? Bis Rechtsextremisten die Kontrolle über die ersten Verfassungsschutzämter in den Ländern übernommen haben?

Heute debattiert der Bundestag auf Antrag von SPD, FDP und Grünen in einer Aktuellen Stunde über die wehrhafte Demokratie. Womöglich werden ein paar Verfassungsfeinde zugegen sein. Das sollte allen die Gefahr bewusst machen.

  • Zivilgesellschaft gegen AfD: Endlich wehrhaft 

Suche nach dem Anti-Trump

Sie merken schon, diese LAGE am Morgen ist ziemlich düster. Postfaschisten in Südtirol, AfD in Deutschland und jetzt komme ich Ihnen auch noch mit Donald Trump. Aber, wie war das eben: Man muss zwar immer mit dem Schlechten rechnen – aber die Sache könnte auch gut ausgehen.

Also Nikki Haley. In Iowa hat es die 51-Jährige bei den republikanischen Vorwahlen nur auf den dritten Platz geschafft, kommende Woche im liberaleren New Hampshire dagegen könnte sie Erfolg haben. In Umfragen liegt sie, na ja, nur einstellig hinter Trump.

Dann, so träumen ihre Strategen, müsste sie noch Ende Februar in ihrem Heimatstaat South Carolina gewinnen und könnte sich so als echte Alternative zu Trump etablieren. Der Vorteil aus Republikanersicht: Während Trump und US-Präsident Joe Biden in Umfragen nah beieinander liegen, ist Haley im direkten Vergleich mit Biden klar vorn (aber Trump wiederum liegt laut Demoskopen in South Carolina deutlich vor Haley).

Für heute hatte ABC News eigentlich eine TV-Debatte mit den republikanischen Präsidentschaftsbewerbern geplant. Aber da Trump sich weiter verweigert, hat auch Haley abgesagt. Sie habe bereits fünf Mal gegen den in Iowa zweitplatzierten Ron DeSantis (Floridas Gouverneur, Trump in jünger) debattiert, sie komme nur, wenn auch Trump auftauche. Also nicht.

  • Historischer Triumph bei Wahl in Iowa: Trumps erster Schritt zurück zur Macht 

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  • Die deutsche Nahostpolitik ist moralisch richtig und diplomatisch klug: Nach dem Angriff der Hamas auf Israel hat die Bundesregierung überlegt reagiert. Wenn die Kämpfe beendet sind, muss sie sich für eine dauerhafte Friedenslösung einsetzen. 

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Die Startfrage heute: Wie hieß Ho-Chi-Minh-Stadt früher?

Verlierer des Tages …

… sind im Winterwunderland Deutschland die Radfahrer. Während auf den meisten Autostraßen picobello geräumt und gestreut wird, bleiben viele Radwege in den Metropolen außen vor. In Berlin zum Beispiel herrscht dort ein striktes Auftaumittelverbot. So solle »eine Salzüberfrachtung im Boden vermieden werden«, heißt es beim Senat. Weil: »Die Salzfracht im Boden ist ein Hauptproblem der Pflanzenschädigung.«

Ah ja. Aber wäre es dann nicht sogar sinnvoller, die Autostraßen nicht zu streuen, sondern nur die Radwege? Dann wäre die Salzfracht im Boden doch noch geringer. Zwinkersmiley. Gern geschehen, lieber Senat.

  • Schneeräumung in Großstädten: Vereiste Radwege, freie Autospuren – wie kann das sein? 

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

  • Polnischer Ex-Minister im Hungerstreik – Gericht ordnet Zwangsernährung an: Polens inhaftierter Ex-Innenminister Mariusz Kamiński sieht sich als politischer Gefangener – und protestiert mit einem Hungerstreik. Jetzt hat sich ein Gericht mit dem Fall beschäftigt.

  • USA greifen erneut Huthi-Ziele im Jemen an: Zum vierten Malbinnen weniger Tage haben die USA Stellungen der Huthi-Miliz angegriffen. Ziel waren demnach mehrere abschussbereite Raketen.

  • Deutscher Wetterdienst rechnet mit »unwetterartigen Neuschneemengen«: Der Winter hat Deutschland weiter fest im Griff, in manchen Teilen des Landes ist am Donnerstag mit bis zu 30 Zentimeter Neuschnee binnen 24 Stunden zu rechnen. Der Wetterdienst wendet sich mit Tipps an Autofahrer.

Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

  • Erst der Kampf um die Sprache, dann die Macht: Rechtsextreme Ideologen wie Martin Sellner und Götz Kubitschek denken weiter als bis zur nächsten Wahl. Sie wollen Begriffe prägen, dadurch Debatten setzen – und so das Land ändern .

  • So erkennen Sie Fehler in der Betriebskostenabrechnung: Mancher nennt sie auch die »zweite Miete«: In die Betriebskosten der Wohnung fließt viel Geld, Mieterinnen und Mieter sollten die Abrechnung genau prüfen. Wie Sie dabei richtig vorgehen und welche Fallen es gibt .

  • Endlich eigene Chefin: Kein Vorgesetzter, keine Kollegen, Pause wann man will: Hier erzählen drei Freiberufler, warum sie erst als Selbstständige zufrieden wurden – trotz des finanziellen Risikos .

  • Diese Sportarten machen Sie glücklich: Joggen ist Ihnen zu langweilig, aber mehr Bewegung täte gut? Probieren Sie es mal mit Strampeln bei Partymusik oder Gegner würgen auf der Matte. Hier stellen SPIEGEL-Redakteure und -Redakteurinnen ihren Lieblingsport vor .

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihr Sebastian Fischer, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros