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SPD-Generalsekretär Kühnert im SPIEGEL-Studio: »Die Verfassung müssen wir schon selber schützen«

Foto: DER SPIEGEL

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert warnt vor zu hohen Erwartungen an einen möglichen Antrag auf Grundrechtsverwirkung gegen den Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke.

Im SPIEGEL-Spitzengespräch mit Moderator Markus Feldenkirchen, dem Kabarettisten Florian Schroeder, SPIEGEL-Redakteurin Ann-Katrin Müller und dem sächsischen Landtagsabgeordneten und früheren AfD-Mitglied Ivo Teichmann verwies Kühnert darauf, dass die inzwischen von mehr als einer Million Menschen per Petition geforderte Maßnahme  nach Artikel 18 des Grundgesetzes bislang noch nie erfolgreich angewendet worden sei.

»Die bisher angestrengten Verfahren gegen Einzelpersonen – immer Rechtsextreme – haben vier bis acht Jahre gedauert«, sagte Kühnert. »Die inhaltlichen Kriterien sind mindestens so hoch, wenn nicht gar höher, wie bei einem Parteiverbotsverfahren«. Ein solches Vorgehen trage auch »nichts dazu bei, akut die Situation verbessern zu können«, so der SPD-Generalsekretär. Es sei jedoch »gut, dass wir uns gewahr werden, was in unserer Verfassung an Möglichkeiten besteht.«

Kühnert: »nicht auf höhere Instanzen verlassen«

Ähnlich zurückhaltend äußerte sich Kühnert zu einem möglichen Verbot der AfD. Für einen solchen Schritt brauche es eine »annähernd wasserdichte Beweissituation, die man auch über mehrere Jahre aufrechterhalten kann«. Auf die Frage, ob diese Beweislage derzeit nicht gegeben sei, sagte Kühnert: »Das kann ich gar nicht beurteilen.« Akut werde ein AfD-Verbot allerdings ebenfalls nicht helfen. »Das dauert Jahre. Jahre, in denen die AfD weiter wüten kann«.

Kühnert nahm die Bürgerinnen und Bürger in die Pflicht. »Alle Demokratinnen und Demokraten im Land sind aufgerufen, sich nicht auf höhere Instanzen oder irgendeine andere Macht zu verlassen«, sagte der SPD-Politiker. »Die Verfassung müssen wir schon selber schützen.«

Im SPIEGEL-Talk ging es neben möglichen verfassungsrechtlichen Schritten gegen die AfD auch um den Bericht der Rechercheplattform »Correctiv«, der eine Vernetzung von AfD-Funktionären und reichen Geldgebern mit der rechtsradikalen Identitären Bewegung (IB) aufgezeigt hatte. Demnach sollen AfD-Vertreter Ende November bei einem Treffen in einem Hotel in Potsdam einen »Masterplan« zur Vertreibung von Millionen Menschen diskutiert haben.

Kabarettist Schroeder: IB-Chef Sellner schürt Ängste auf »pervertiert-geniale Weise«

Kabarettist Schroeder, der für sein Buch (»Unter Wahnsinnigen«) an einer IB-Veranstaltung zum Anwerben neuer Mitglieder in Berlin teilgenommen hatte, sagte, er sehe die Identitären als ideologische Wegbereiter der AfD. »Die Identitäre Bewegung muss man verstehen als eine Art Bewegung, die der AfD den Boden bereiten soll, die die Begriffe verändern soll, was ihnen auch erschreckend gut gelingt mit Begriffen wie ›Remigration‹.«

»Remigration« war zuletzt von einer Jury aus Sprachwissenschaftlern zum »Unwort des Jahres« gewählt worden. Demnach ist der Begriff im rechtsextremen Milieu verbreitet und ein »Euphemismus für die Forderung nach Zwangsausweisung bis hin zu Massendeportationen von Menschen mit Migrationsgeschichte« – selbst wenn diese die deutsche Staatsbürgerschaft haben.

IB-Chef Martin Sellner, der an der Veranstaltung in Potsdam den »Masterplan« präsentiert haben soll und von »Remigration« sprach, gelingt es laut Schroeder auf eine »pervertiert-geniale Weise« Ängste zu schüren. »Das Pervertiert-Geniale ist, dass er radikal Begriffe dreht, verändert, Zusammenhänge herstellt«, so Schröder. »Man muss mittlerweile fast ein Lexikon dabeihaben, um zu verstehen, worüber die sprechen.«

Ex-AfDler Teichmann beklagt fehlende Abgrenzung durch Parteispitze

Der sächsische Landtagsabgeordnete Ivo Teichmann, im Dezember 2022 aus der AfD ausgetreten, begründete seinen Schritt damit, dass sich führende Parteifunktionäre nicht zum rechtsextremen Sprektrum abgegrenzt hätten. Teichmann hatte etwa öffentlich kritisiert, dass AfD-Politiker Verbindungen zur Neonazi-Partei »Freie Sachsen« unterhielten. Dies sei von der Landesparteiführung zwar wahrgenommen worden, Konsequenzen seien aber ausgeblieben. »Man hat von der Führungsebene, auf Kreisebene, Regionalgruppenebene, Landesebene bis zur Bundesebene dort versagt«, sagte Teichmann.

Zu einem Verbot der AfD äußerte sich Teichmann, der nun Mitglied der nach eigenen Angaben liberal-konservativen Kleinpartei »Bündnis Deutschland« ist, zurückhaltend. »Ein Verbot muss ein letztes Mittel sein.«

fek