Binnen weniger Stunden wurden Israel die gegensätzlichen Pole seiner Existenz vor Augen geführt. Die Bilder der Ankunft mehrerer arabischer Minister am Negev-Flughafen waren gerade erst über die Fernsehschirme gelaufen – ein eindrückliches Zeichen der zunehmenden Akzeptanz Israels in der Region. Das Treffen von sechs Außenministern im Kibbuz Sde Boker versprach zum bisherigen Höhepunkt der seit 2020 forcierten Annäherungspolitik zu werden. Am späten Sonntagabend störten jedoch Eilmeldungen die Harmonie: Zwei Bewaffnete hatten in Hadera um sich zu schießen begonnen. Es gab zwei Tote und vier Verletzte. Die Täter waren Cousins aus der Stadt Umm al-Fahm, also palästinensische Israelis. Sie wurden von Sicherheitskräften erschossen, die aus einem nahe gelegenen Restaurant herbeigeeilt waren. Effektvoller hätte der israelisch-palästinensische Konflikt nicht in Erinnerung gerufen werden können.

Christian Meier

Politischer Korrespondent für den Nahen Osten und Nordostafrika.

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Ministerpräsident Naftali Bennett fuhr noch am Abend in die zentralisraelische Stadt, um sich über die Situation informieren zu lassen. Am Montagmorgen sagte er, der Tod von Shirel Abukarat und Yezen Falah – zwei Angehörigen der Grenzpolizei, beide 19 Jahre alt – „bricht einem das Herz“. Bennett rief die Bevölkerung zur Wachsamkeit auf und sagte, die Sicherheitskräfte würden sich schnell auf die „neue Bedrohung“ einstellen.

Gemeint ist die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS), die den Anschlag für sich reklamiert hat. Der IS ist in der palästinensischen Bevölkerung Israels eigentlich nicht stark verankert. Gleichwohl handelt es sich um den zweiten Anschlag mit Todesopfern in Israel binnen einer Woche, der auf das Konto von IS-Anhängern gehen soll. Erst am vergangenen Dienstag hatte in der südlichen Stadt Beerscheba ein Beduine vier Menschen getötet, bevor er von Passanten erschossen wurde. Der Täter hatte eine vierjährige Gefängnisstrafe verbüßt, weil er Anwerbung für den IS betrieben hatte.

Geeinte Front gegen Iran

Vertreter der palästinensischen Bevölkerung Israels verurteilten den Angriff in Beerscheba einmütig und vernehmlich. Auch jetzt, nach dem Anschlag in Hadera, sagte der Knesset-Abgeordnete Mansour Abbas, die Tat sei nicht repräsentativ für die arabisch-israelische Gesellschaft. Abbas, dessen „Vereinigte Arabische Liste“ der Regierungskoalition angehört, rief die Anführer der palästinensischen Israelis dazu auf, eindeutig Position zu beziehen gegen Verbrechen, die den Namen des Islams befleckten. Einen Kontrapunkt setzte die Hamas: Die islamistische Organisation pries den Anschlag in Hadera als „heroische Operation“.

Die Attacke dürfte die Spannungen verstärken. Viele Beobachter befürchten, dass es während des Ramadans im April wieder eine Eskalation geben könnte wie im vergangenen Jahr. Im Mai 2021 war es zu einem mehrtägigen Waffengang zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen gekommen, in dessen Verlauf mehr als 260 Menschen getötet wurden. Zudem hatte es in mehreren „gemischten“ Städten Israels schwere Auseinandersetzungen zwischen Juden und Palästinensern gegeben. Das belastet das Zusammenleben bis heute. Seit Wochen wird jede Konfrontation daraufhin bewertet, ob sie die Flammen vor dem Beginn des Ramadans am Sonntag anheizen könnte. Politiker auf beiden Seiten rufen zur Ruhe auf. Dass der jordanische König Abdullah II. am Montag zum ersten Mal seit Jahren nach Ramallah reiste und den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas traf, wurde ebenfalls mit dem Bestreben begründet, zur Deeskalation beizutragen.

Auch der amerikanische Außenminister Antony Blinken, der am Negev-Gipfel teilnahm, hatte noch am Sonntagnachmittag gesagt, er wolle mit Führern beider Seiten darüber diskutieren, „wie die Spannungen gemindert und ein Ramadan, Ostern und Pessach in Frieden gewährleistet werden können“. Kurz darauf war seine Aussage von der Wirklichkeit eingeholt worden. Blinken verurteilte den Anschlag, ebenso wie seine Kollegen aus Ägypten, Bahrain, Marokko und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Das eigentliche Thema des Treffens – eine geeinte Front gegen Iran zu präsentieren – geriet nahezu in den Hintergrund. Israels Außenminister Jair Lapid kündigte zum Abschluss des Gipfels an, dieser solle ein „regelmäßiges Forum“ werden. Die Zusammenarbeit der in Sde Boker vertretenen Länder „schüchtert unsere gemeinsamen Feinde ein und schreckt sie ab, vor allem Iran und seine Stellvertreter“, sagte Lapid. Von den übrigen Teilnehmern des Gipfels kam indessen mehrfach der Hinweis, dass es auch im Nahostkonflikt Fortschritte geben müsse.