Eine Frau schreibt über den Krieg. „Das Schreckliche und das Ergreifende der Situation“, schreibt sie, „nirgends wird es deutlicher als angesichts der Kinder. Die Tragödie des überfallenen Volkes, – in den hungrigen Gesichtchen der Kinder steht sie zu lesen, – aus ihren zerlumpten Kleidchen spricht sie, und sie bestürmt unsere Herzen, wenn wir die Vertriebenen schlafen sehn, in den dunklen Stationen der Untergrundbahnen.“ Die Frau schreibt nicht über die Ukraine im Jahr 2022, obwohl die Bilder von den Kindern, die in den U-Bahn-Stationen Zuflucht suchen, sich gespenstisch gleichen – sondern über den Bürgerkrieg in Spanien. Der Text stammt aus dem Jahr 1938, geschrieben hat ihn Erika Mann.

Niklas Maak

Redakteur im Feuilleton.

  • Folgen Ich folge

Thomas Manns Tochter war zusammen mit ihrem Bruder Klaus im Juni 1938 für drei Wochen nach Madrid gekommen, um über den Kampf der Republik gegen die Faschisten zu berichten. „Wir waren gewarnt worden“, schreibt Erika Mann. „In Paris hatten unsere Freunde (und nur wer es gut meint mit der spanischen Repu­blik, zählt zu unseren Freunden!) aufs inständigste abgeraten. Geht nur jetzt nicht hin, hatten sie gesagt, ihr kommt in den schrecklichen Augenblick der Demoralisation, der Auflösung, die internationalen Truppen strömen zurück von den Fronten.“

Entlang der Frontverläufe durch Spanien

Dass Ernest Hemingway 1937 Ma­drid besuchte, ist bekannt; vom Besuch von Klaus und Erika Mann wissen nur wenige. Nun wurde im Beisein des deutschen Botschafters eine Gedenkmedaille im Gebäude der Complutense-Universität von Madrid angebracht, die an den Besuch der Kinder von Thomas Mann erinnert. Dazu eröffnete eine erhellende kleine Ausstellung in der Bibliothek der Philologie-Abteilung, die von Isabel Garcia Adánez kuratiert wurde. Die Manns reisten damals entlang der Frontverläufe durch Spanien, interviewten republikanische Kämpfer, besuchten die Fronten am Ebro in Katalonien, aber auch Madrid, wo vor den Hügeln, auf denen die Universitätsstadt mit ihren modernen Neubauten liegt, erbittert gekämpft wurde. „Wenn man die grausam zerstörte Universitäts-Stadt – die Ciudad Universitaria – betritt“, schreibt Klaus Mann, „findet man sich nur noch wenige hundert Meter vom Feinde entfernt. Man hat den Blick auf ein zerschossenes rotes Gebäude, das ehemals eine Klinik war: das ist vom Feinde besetzt. Die zertrümmerte Universität ist zur lange und hartnäckig behaupteten Festung geworden. In den Hörsälen der Philosophie liegen nun Soldaten einquartiert; wo früher über Kant und Hegel diskutiert wurde – und wieder einmal des Langen und Breiten diskutiert werden wird –, stehen nun Maschinenge­wehre.“

Die Ausstellung lädt auch dazu ein, sich mit dem Universitätsbau zu befassen, der ein herausragendes Beispiel der spanischen Moderne ist. Er wurde Anfang der Dreißigerjahre von Agustín Aguirre Lopez entworfen: ein monumentaler Backsteinkomplex mit mehreren Gebäuden, deren Bibliothek und Lesesäle nach Art des internationalen Stils und der Bauhaus-Moderne großzügig verglast sind: Der große Hörsaal und die Treppenhäuser nehmen die Dampfschiffschwünge des Art déco auch noch mit auf. Aber im Gegensatz zur oft klinischen Krankenhausatmosphäre vieler Bauhaus-Bauten lebt in der südlichen Avantgarde-Architektur das Erbe des Barock weiter, eine ausgeprägte Freude an dunklem Holz und schweren Materialien wie Granit oder rotem Marmor: Viele Foyers an sich moderner, sachlicher Bauten in Madrid sind mit luxuriösem, weiß geädertem, dunkelrotem Stein ausgeschlagen, der auf eine gewisse Weise an das weiß geäderte Rot der Schinken in Madrids Bars und Jamonerías erinnert.