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Schriftsteller sind die langweiligsten Geschöpfe auf Gottes weitem Erdboden. Schriftsteller stehen morgens auf, denken sich verrücktes Zeug aus, schreiben das verrückte Zeug nieder, nehmen gelegentlich Mahlzeiten ein, gehen zwischendurch aufs Klo und abends wieder ins Bett.

That’s it. Mehr gibt es nicht zu sehen. Aber Philip Roth – 1933 in Newark geboren, 2018 in New York gestorben –, Philip Roth wünschte sich von ganzem Herzen einen Biografen. 2008 begann er, sich nach einem solchen umzusehen.

Nach mehreren Fehlstarts meldete sich Blake Bailey bei ihm, der lange als Lehrer gearbeitet hatte – bis er eine Biografie über den versoffenen Schriftsteller Richard Yates vorlegte, die ihn über Nacht berühmt machte. Es folgte eine Biografie über John Cheever (noch ein versoffenes Genie).

Herz und Archiv

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Jetzt also Roth. Als der ihn 2012 in Manhattan traf, wollte er von Bailey wissen, ob er – ein Goj aus Oklahoma – sich allen Ernstes zutraue, ihn, einen Juden von der Ostküste, zu porträtieren. Baileys Antwort: „Ich bin kein bisexueller Alkoholiker, der von Puritanern abstammt, und trotzdem habe ich es geschafft, eine Biografie über Cheever zu schreiben.“ Damit war das geklärt.

Roth öffnete ihm alles: sein Herz und sein Archiv. Er gab stundenlange Interviews. Er brachte ihn mit Freunden in Verbindung. Außerdem stellte er Blake Bailey zwei Manuskripte zur Verfügung. Erstens: „Notes For My Biographer“ – eine Antwort auf ein Buch, das Claire Bloom, Roth’ Ex-Frau, geschrieben hatte und aus dem viele herauslasen, es handle sich bei ihm um ein frauenfeindliches Ungeheuer. Zweitens „Notes on a Slander-Monger“, Notizen über einen Verleumdungshändler – einen Traktat, in dem Roth mit einem Anglistikprofessor abrechnete.

Beide Manuskripte sollen in einem halben Jahr geschreddert werden. Zurzeit ruhen sie aber noch sicher in Bake Baileys Safe. Am Dienstag ist sein 1400-Seiten-Werk „Philip Roth: The Biography“ erschienen (W.W. Norton, 912 S., ca. 32 €). Wohlgemerkt: die Biografie – nicht etwa eine.

Philip Roth im Jahr 1977

Quelle: picture alliance / Everett Collection

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Das Buch hat in der amerikanischen Presse schon allerhand zerquetschte Vorschusslorbeeren erhalten. Joshua Cohen schrieb, Kafka habe seinen Freund Max Brod angewiesen, seine Romane zu verbrennen, und damit – als Brod das Urteil nicht vollstreckte – seinen Weltruhm begründet.

„Mach mich interessant“

Bei Roth sei es genau umgekehrt: Der habe Bailey alles offenbart und damit wahrscheinlich seinen Ruhm vernichtet. Durch die Verteidigung gegen die Vorwürfe, die zu Lebzeiten gegen Roth erhoben wurden, habe er nun, nach dem Tod, seinen Ruf endgültig ruiniert. Vor allem komme sein Werk bei Bailey gar nicht vor.

Cohen muss ein anderes Buch gelesen haben als jenen Ziegelstein, der den Nachttisch des Rezensenten beschwerte. Blake Bailey hat sich bis aufs i-Tüpfelchen an einen Wunsch von Philip Roth gehalten, den er seinem Buch als Motto voranstellt: „Mach mich nicht sympathisch, mach mich interessant.“

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Roth war also: rachsüchtig, kleinlich, sexbesessen und völlig skrupellos, wenn es darum ging, das Leben anderer Leute für seine Romane auszubeuten. Er war außerdem ein guter Freund, charmant, witzig und immer wieder von verblüffender Großzügigkeit. Er half verfolgten Kollegen hinter dem Eisernen Vorhang. Er half einem kongolesischen Kollegen, mit seiner ganzen Familie dem Bürgerkrieg zu entkommen, indem er persönlich bei Präsident Clinton intervenierte.

Zwei Katastrophenehen

Und die Frauenfeindlichkeit? Ach Gottchen. Roth absolvierte zwei Katastrophenehen, die erste mit Maggie Martinson, die ihn hereinlegte, indem sie einen Urintest fälschte und ihm so eine Schwangerschaft und eine Abtreibung vorgaukelte. Die zweite, wie gesagt, mit Claire Bloom – sie war so meschugge, dass am Ende beide Eheleute in der Nervenheilanstalt landeten.

Jede der Frauen in seinem Leben hat Roth vielfach betrogen. Er mochte Telefonsex. Na und? Wer von euch sich in rebus eroticis noch nie wie ein Mischmonster aus Esel, Zirkusclown und Feuer speiendem Drachen aufgeführt hat, der werfe den ersten Kuhfladen.

Blake Baileys Biografie ruft in Erinnerung, dass Philip Roth – auf den heute eigentlich alle amerikanischen Juden mächtig stolz sind – am Anfang als jüdischer Antisemit galt. Der israelische Philosoph Gershom Scholem fürchtete gar, die Veröffentlichung von „Portnoys Beschwerden“ (in dem es um einen jüdischen Jungen steht, der beim Wichsen ständig an Schicksen denkt, an nichtjüdische Mädchen) werde zu einem zweiten Holocaust führen.

Bekanntlich ist es nicht ganz so schlimm gekommen. Im Rückblick sind die Debatten von damals einfach nur albern. Und der Nobelpreis, den Roth bekanntlich nie bekommen hat? Bailey enthüllt, dass ihn am Tag der Preisverleihung jedes Jahr frühmorgens ein Freund anrief und ihm mit starkem schwedischem Akzent sagte: „Mr. Roth, leider muss ich Ihnen mitteilen, dass wir Ihnen den Preis auch dieses Jahr nicht verleihen werden.“ Und dann lachten beide sich scheckig.