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König Johann II. von Frankreich und seine Ritter waren von ihrem Sieg überzeugt, als sie am 19. September 1356 bei Poitiers Aufstellung nahmen: 20.000 Franzosen gegen 10.000 Engländer. Aber solche Überheblichkeit ließ die Briten in den Rücken der Franzosen gelangen. Den Rest besorgten die Bogenschützen des englischen Prinzen Eduard, auch bekannt als „Schwarzer Prinz“. 2500 Franzosen sollen gefallen sein, der französische König und einer seiner Söhne gerieten in Gefangenschaft. Was folgte, nahmen sich 430 Jahre später die Aufständischen zum Vorbild, die die Französische Revolution in Gang setzen sollten.

Nach der Schlacht von Crécy 1346 war Poitiers die zweite vernichtende Niederlage, die Frankreich im Hundertjährigen Krieg (1337–1453) gegen England hinnehmen musste. Doch diesmal geriet nicht nur seine Kriegsmacht, sondern auch die Monarchie ins Wanken. Denn die offensichtliche militärische Inkompetenz des Adels, der seine privilegierte Stellung ja mit seiner Schutzfunktion für die Gesellschaft legitimierte, brachte die beiden Stände gegen ihn auf, die ihn mit ihrer Arbeit unterhielten.

Mehr noch: Nach Poitiers wurden die Abgaben von Bauern und Bürgern drastisch erhöht, um die von den Engländern gemachten Verwüstungen zu beseitigen und die exorbitanten Lösegelder für die Gefangenen aufzubringen. Allein für Johann wurden drei Millionen Écu festgelegt – fast das Doppelte der königlichen Einnahmen von 1355. Dabei hatten die Untertanen Johanns schon genug unter der grassierenden Pest und den Söldnerkompanien zu leiden, die marodierend durchs Land zogen, weil niemand mehr die Mittel aufbrachte, sie in Dienst zu nehmen.

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Johanns ältestem Sohn, dem Dauphin Karl (der spätere Karl V.), wehte also der Wind ins Gesicht, als er für seinen einsitzenden Vater in Paris als Stellvertreter amtierte. Die Stände zwangen ihn, die alten Räte zu entlassen, die Hofhaltung einzuschränken, eine bereits dekretierte Geldentwertung zurückzunehmen und – vor allem – ihre zweimalige Zusammenkunft im Jahr zu garantieren. Auf der Gegenseite formierte sich eine Adelsopposition um Karl II. von Navarra, der als Cousin Ansprüche auf die Krone erheben konnte.

Karl V., "der Weise" (1337–1380), war von 1364 bis zu seinem Tod König von Frankreich

Quelle: picture-alliance / akg-images

Dieser Karl war eine schillernde Figur und trug nicht umsonst den Beinamen „der Böse“. Er hatte mit den Engländern paktiert, was Johann II. bewog, ihn gefangenzunehmen. Nach der Schlacht von Poitiers kam er wieder frei und wurde umgehend von einigen Adligen umworben, die ihre Interessen eher von dem erfahrenen Kämpfer gewahrt sahen als von dem jungen Kronprinzen.

Als Johann von London aus die Aufhebung der Vereinbarung verlangte und sein Schatzmeister Opfer eines Anschlags geworden war, der wiederum blutig gesühnt wurde, eskalierte die Situation. Am 22. Februar 1358 drangen wütende Pariser in die Gemächer des Dauphins Karl ein. Vor seinen Augen wurden die wichtigsten Vertrauensleute, die Marschälle Robert von Clermont und Johann von Conflans, erschlagen, „weil sie das Volk ermorden wollten“. Der Anführer Étienne Marcel soll Karl dazu erklärt haben: „Herr, fürchtet Euch nicht vor dem, was ihr seht. Das ist so angeordnet, und es ist gut so.“

Dauphin Karl (V.) und Etienne Marcel vor den Leichen der Ermordeten

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Das machte Marcel zum Stammvater der Revolution. Der wohlhabende Tuchhändler hatte als „Prévôt“ (Vorsteher) der Kaufleute das wichtigste Amt inne, das in Paris nicht vom Herrscher abhing und zugleich für das Wirtschaftsleben von entscheidender Bedeutung war. Karl wurde gezwungen, die rot-blaue Mütze zu tragen, die Marcel als Erkennungszeichen der Pariser Bürgerschaft eingeführt hatte. Wahrscheinlich war Marcel auch treibende Kraft hinter dem neuen Titel, den Karl annahm. Als „Regent“ sollte er sich nicht mehr als „Stellvertreter“ seines Vaters sehen. Das Königreich schien von Grund auf verändert.

Doch während sich der Adel noch zurückhielt, lösten seine Bedrückungen Ende Mai in der Compiègne einen Bauernaufstand aus. Daran hatte Karl II. von Navarra nicht unwesentlichen Anteil, verwüstete er doch auf eigene Rechnung die Gegend. Tausende Ritter wurden massakriert, Hunderte Schlösser zerstört. Die „Jacquerie“ (nach dem Spottnamen „Jacques Bonhomme“ für Bauern) weitete sich zur größten Bauernrebellion in Frankreich aus.

Der Adel schlug den Aufstand der Bauern brutal nieder

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Daraufhin wechselte Navarra erneut die Fronten und verbündete sich mit dem Adel gegen die Bauern. Mit einer höchst unaristokratischen Kriegslist lud er deren Anführer zu Verhandlungen ein und nahm ihn dabei gefangen. Dann wurde das führerlose Bauernheer massakriert. 20.000 Bauern sollen gestorben sein.

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Schließlich bot Marcel Karl von Navarra an, als Hauptmann den Schutz von Paris zu übernehmen. Als der im Juni ausgerechnet mit einem Aufgebot englischer Söldner in der Stadt erschien, kam es erneut zum Aufstand. Diesmal kündigten aufgebrachte Bürger Marcel die Gefolgschaft auf und verbündeten sich mit Adligen, die in der Stadt Zuflucht gesucht hatten und von den Winkelzügen des Navarresen endgültig die Nase voll hatten. Ende Juli wurde Marcel von einem ehemaligen Gefolgsmann mit der Axt erschlagen.

Der Gewinner war der Dauphin Karl. Er hatte inzwischen aus Paris entweichen können. Nun kehrte er als Ordnungsstifter zurück. Dass er die Stadt mit einer Amnestie befriedete, zeigte bereits das Talent, das ihn später zu einem der geachtetsten König Frankreichs machen sollte.

Die fürchterliche Rache des Adels an den Bauern stand den Revolutionären von 1789 vor Augen. Die Finanzkrise als Auslöser, der Sturm aufs Schloss, die Gegnerschaft zwischen Bürgertum und Adel, die Sonderrolle von Paris und nicht zuletzt die markante Mütze. Allerdings fehlte 1358 noch jegliche Vorstellung von einer Welt, in der jeder Mensch frei und gleich sein sollte.

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