Anzeige

Die Börsen stehen hoch, und dennoch ist das Interesse an Aktieninvestments so groß wie nie. Dank der fulminanten Börsenrallye sitzen Anleger auf stattlichen Kursgewinnen – eigentlich das ideale Umfeld für eine intelligente Absicherungsstrategie. Doch just eine solche intelligente Absicherung gegen einen Rückschlag will der Staat Selbstentscheidern jetzt erschweren.

Darauf läuft zumindest eine Änderung der Steuergesetzgebung hinaus, die bestimmte – bei Sparern beliebte – Anlageprodukte steuerlich schlechter stellt, und zwar deutlich. Die Tücken verbergen sich in der Auslegung von Paragraf 20 Abs. 6 EStG, wo es um die Verrechnung von Verlusten aus Termingeschäften geht. Das Jahressteuergesetz wurde bereits Ende letzten Jahres verabschiedet, das Anwendungsschreiben regelt die konkrete Handhabung durch die Finanzämter.

Im Kern läuft die Neuerung darauf hinaus, dass sich private Absicherung gegen Schwankungen an der Börse künftig weniger lohnt. Neu ist der Umgang des Fiskus mit Termingeschäften, mit Instrumenten, die im westlichen Finanzwesen seit Jahrhunderten zur Absicherung genutzt werden. Für einzelne Privatanleger kann es auf eine finanzielle Verschlechterung von mehreren Tausend Euro im Jahr hinauslaufen. Finanzkonzerne und Profianleger sind nicht betroffen.

Anzeige

Besonders brisant ist die Neuregelung deshalb, weil anders als ursprünglich vorgesehen offensichtlich auch Optionsscheine und Knock-out-Zertifikate betroffen sind. Diese Produkte basieren auf Terminkontrakten (Futures), sind aber rechtlich gesehen etwas anderes, nämlich Schuldverschreibungen der ausgebenden Banken. Da Optionsscheine und Knock-out-Zertifikate leicht zu erwerben sind und diverse gehebelte Strategien mit geringem Kapitaleinsatz erlauben, sind sie bei Privatanlegern beliebt. Echte Termingeschäfte werden dagegen überwiegend von professionellen Investoren genutzt.

Die Zahl der Privatanleger, die Optionsscheine und Knock-out-Zertifikate handeln, geht in Deutschland in die Hunderttausende. Manche Politiker haben diese Produkte in der Vergangenheit als spekulative Instrumente dargestellt, vor denen Sparer geschützt werden müssten. Jedoch können Optionsscheine und Knock-out-Zertifikate gerade dank ihrer Hebelwirkung auch – defensiv – zur privaten Risikominimierung eingesetzt werden.

Genau für diesen Zweck nutzen zahlreiche institutionelle Investoren Futures. Eine endgültige Entscheidung, was alles zu den Termingeschäften zählen soll, wird für Ende Februar erwartet. Dann soll die konkrete Umsetzung nach Rücksprache mit den Finanzverwaltungen der Bundesländer beschlossen werden.

Vermögen aufbauen

Wie baut man ein Vermögen richtig auf?

Als WELT-Leser können Sie an einem kostenlosen Anlage-Check der V-BANK teilnehmen und Ihr Depot von einem unabhängigen Vermögensexperten unverbindlich überprüfen lassen. Profitieren Sie jetzt von einer Profi-Meinung.

Mehr erfahren

Finanzinstitute raten davon ab, Zertifikate zu Termingeschäften zu rechnen

Anzeige

Fest steht, dass es rund um den Entwurf des Schreibens aus dem Bundesfinanzministerium (BMF) noch Diskussionsbedarf gibt. In einer Stellungnahme der Deutsche Kreditwirtschaft, die WELT vorliegt, raten die Geldhäuser ausdrücklich davon ab, die beliebten Produkte den Termingeschäften zuzurechnen. Das Finanzministerium verweist auf die abschließenden Beratungen mit den Ländern. „Die Abstimmung der Verwaltungsauffassung, ob Optionsscheine und bestimmte Anlagezertifikate, insbesondere Knock-out-Zertifikate, von der Verlustverrechnungsbeschränkung erfasst sind, ist noch nicht abgeschlossen“, heißt in einer Antwort des Finanzministeriums auf die WELT-Anfrage.

Im Moment sieht es aber so aus, als würden Optionsscheine und Knock-out-Zertifikate unter das neue Steuerregime fallen. Für Privatanleger, die Hebelprodukte einsetzen, um sich gegen einen Kurseinbruch am Gesamtmarkt (etwa dem Dax) oder bei Einzelwerten (etwa der Tesla-Aktie) abzusichern, kann das leicht auf ein steuerliches Minus von mehreren Hundert oder gar Tausend Euro hinauslaufen.

„Generell wird die Verfassungsmäßigkeit dieser Verlustabzugsbeschränkungen bestritten“, sagt Ulf Knorr, Steuerberater und Vorstand bei Ecovis Grieger Mallison in Rostock. Doch bis eine Klage in Karlsruhe Erfolg hat, kann es Jahre dauern. Bis dahin müssen Anleger alle Belege sammeln und archivieren. Es läuft auf die Rückkehr des Schuhkartons voller Zettel fürs Finanzamt hinaus.

Anzeige

„Das Schröpfen und die Bevormundung des Privatanlegers setzt sich hier fort, wie schon beim Versuch, eine Finanztransaktionssteuer ebenfalls ausschließlich für Privatanleger einzuführen“, sagt Tobias Kramer, Gastgeber von Echtgeld TV und Herausgeber des Anlegermagazins DZB Portfolio. Nicht nur, dass Banken und Finanzdienstleistern federstrichartig neue Bürokratie aufgebürdet werde. Es sei auch ein Tiefschlag für die Steuergerechtigkeit und die private Vorsorge. „Die Politik und insbesondere die Regierungskoalition sollte bei Gelegenheit mal die Frage beantworten, wie man als Privatanleger außerhalb des finanziell komplett auf Sand gebauten Rentensystems eigentlich vorsorgen soll.“

Technisch gesehen rührt die Schlechterstellung daher, dass seit 2021 Termingeschäfte einen komplett anderen Verrechnungstopf bilden als Aktien. Sprich: Wer sich zum Beispiel mit Termingeschäften gegen einen Kursrückgang der Tesla-Aktie absichern will, kann die Verluste aus der Versicherung seit 2021 nicht mehr mit Gewinnen aus der Tesla-Aktie oder anderen Wertpapieren gegenrechnen.

Dabei sind solche Verluste aus Short-Produkten oder Put-Termingeschäften programmiert, wenn der Basiswert steigt. Die Wörter Short oder Put signalisieren, dass der Wert zulegt, wenn der Kurs des Basiswerts fällt. Erfahrene Anleger behandeln derartige Verluste aus Termingeschäften wie eine Versicherungsprämie. Die Möglichkeit zur Verlustverrechnung erleichterte konservative Absicherungsstrategien.

„Ab 2021 sind Verluste aus Termingeschäften nicht mehr mit Gewinnen aus anderen Kapitaleinkünften verrechenbar“, umschreibt Michael Siegle von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. (SdK) die Situation. Ausgleichbar sind damit nunmehr ausschließlich Gewinne aus anderen Termingeschäften, und das unterjährig auch nur bis maximal 20.000 Euro pro Jahr.

Vor allem für fortgeschrittene Anleger, die selbstständig Vermögensaufbau am Kapitalmarkt betreiben, ist die Neuregelung ein Schlag. Mittels Termingeschäften (die meistens eine gewisse Hebelwirkung entfalten) lässt sich ein Portfolio auch in schwierigen Zeiten stabilisieren. Professionelle Investoren bedienen sich dieser Instrumente ständig, es ist quasi ihr täglich Brot.

CFDs auf jeden Fall von Neuregelung betroffen

Wenn das abzusichernde Portfolio zum Beispiel einen Wert von 100.000 Euro hat, können Short-Produkte im Wert von 5000 Euro (also fünf Prozent des Portfolios) mit entsprechendem Hebel einen Kurseinbruch von 20 Prozent auf weniger als zehn Prozent des Portfolios reduzieren.

Das alles wird nun in mehrfacher Hinsicht schwieriger, offenbar auch für Privatanleger, die bei der Geldanlage strategisch Optionsscheine und Knock-out-Zertifikate einsetzen. Einer Schätzung zufolge betrifft das mehrere Hunderttausend private Anleger in Deutschland.

Anzeige

Anders als oft dargestellt, dienen ihnen Optionsscheine oder Knock-out-Zertifikate keineswegs nur spekulativen Zwecken. Wie die WHU Otto Beisheim School of Management jüngst ermittelt hat, nutzen fast 70 Prozent der Anleger Hebelprodukte als Absicherungsinstrument für bestehende Depots.

Quelle: Infografik WELT

Für aktive Anleger, die gerne sogenannte Contracts for difference (CFDs) einsetzen, bringt die Neuregelung auf jeden Fall eine Verschlechterung, unabhängig davon, ob am Ende auch Optionsscheine oder Knock-out-Zertifikate einbezogen werden. Dass solche CFDs, gewissermaßen gehebelte Finanzwetten, als Termingeschäfte gewertet werden, ist beschlossene Sache.

Damit ist auch innerhalb dieser Kategorie die unterjährige Verlustverrechnung auf 20.000 Euro begrenzt. Das mag nach viel klingen, ist für ein größeres Anlageportfolio, das auch der Vorsorge dient, alles andere als üppig.

Wer jetzt innerhalb eines Jahres zum Beispiel 50.000 Euro Gewinne aus CFDs generiert, aber im selben Jahr 40.000 Euro Verluste, also unter dem Strich nur 10.000 Euro Gewinn, muss trotzdem 30.000 Euro versteuern (50.000 minus maximale Verlustanrechnung von 20.000 Euro).

Quelle: Infografik WELT

Ein anderes Beispiel aus dem neuen Steuerregime ist nicht weniger krass. Erzielt ein Anleger 10.000 Euro Gewinne aus Aktienveräußerungen und macht im selben Jahr aus einem Termingeschäft 30.000 Euro Verlust, fielen bis 2020 auf den Aktiengewinn gar keine Steuern an – logisch, denn es war ja ein Minusjahr. Seit 2021 sind die 10.000 Euro voll zu versteuern.

Nur eine einzige Konzession haben die Bürokraten des Bundesfinanzministeriums gemacht. Ursprünglich sollte die jährliche Verlustanrechnung innerhalb der Termingeschäfte sogar auf nur 10.000 Euro begrenzt sein, im Jahressteuergesetz wurden dann 20.000 Euro daraus.

Außerdem kann ein Teil der Verluste ins nächste Jahr mitgenommen werden, um dann mit Gewinnen verrechnet werden, allerdings nur aus dem gleichen Verrechnungstopf. „Nicht verrechnete Verluste werden fortgetragen und können auch in den Folgejahren nur bis zur Höhe von 20.000 Euro mit Gewinnen aus Termingeschäften verrechnet werden“, erklärt Siegle. Für Selbstentscheider ist das nur ein kleiner Trost, bedeutet intelligente Absicherung an der Börse für viele doch erstmal ein Minus. Und mehr Zettelwirtschaft.

Hier können Sie unsere WELT-Podcasts hören

Wir nutzen den Player des Anbieters Podigee für unsere WELT-Podcasts. Damit Sie den Podcast-Player sehen können und um mit Inhalten aus Podigee und anderen sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir Ihre Zustimmung.

Soziale Netzwerke aktivieren

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät notwendig. Mehr Informationen dazu finden Sie hier.

„Alles auf Aktien“ ist der tägliche Börsen-Shot aus der WELT-Wirtschaftsredaktion. Jeden Morgen ab 7 Uhr mit den Finanzjournalisten Moritz Seyffarth und Holger Zschäpitz. Für Börsen-Kenner und Einsteiger. Abonnieren Sie den Podcast bei Spotify, Apple Podcast, Amazon Music und Deezer. Oder direkt per RSS-Feed.

Anzeige

Die Opposition kritisiert die Neuregelung: „Die Beschränkung der Verlustverrechnung ist nicht sinnvoll“, sagt Bettina Stark-Watzinger, Finanzexpertin der FDP. Absicherung sei ein wichtiger Bestandteil privater Anlagestrategien.

Wenn der Staat Gewinne voll besteuere, dürfe er Verluste nicht vollkommen anders behandeln: Eine Verrechnung müsse möglich sein. Nicht wenige Steuerexperten halten die Neuregelung sogar für verfassungswidrig.