„Monday-Morning-Quarterback“ nennen sie in Amerika die Kommentatoren der Sonntags-Footballspiele, die immer schon gewusst haben wollen, wie man das Spiel hätte gewinnen können. Dummerweise sagen sie das aber erst hinterher.

Rainer Hank

Freier Autor in der Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

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Von solchen späten Besserwissern fühle ich mich gerade umzingelt, wenn es um die Globalisierung und deren vermeintliche Naivität geht. Heute räche sich der Fehler einer zu engen wechselseitigen Verflechtung der Weltwirtschaft, so hören wir. Die Angewiesenheit der Deutschen auf russisches Gas und Öl verhindere ein wirkungsvolles Embargo gegen den Diktator Putin. Die internationale Arbeitsteilung der Lieferketten habe sich schon in der Corona-Krise als äußerst fragil erwiesen. Erst fehlen die Chips, seit Kriegsausbruch fehlen der deutschen Autoindustrie die Kabelbäume, weil die in der Ukraine hergestellt werden. Ökonomische Abhängigkeit – ein Irrweg?

Die Besserwisser sagen: Haben die Globalisierer gar nicht gemerkt, wie „vulnerabel“ wir geworden sind? Schluss damit: Das neue Paradigma heißt „Slowbalization“, Verlangsamung des Welthandels. Die dazu passenden Modebegriffe lauten Resilienz und Autarkie. Der Preis dafür wäre hoch: ein Rückfall der Zivilisation und ein Verlust von Wohlstand. Einigeln im eigenen Heim, die Hafermilch liefert der Bauer um die Ecke. Vielleicht finden wir bald auch einen heimischen Bohnenkaffee-Ersatz: Kathreiner Malzkaffee mussten wir in den Fünfzigerjahren trinken.

Nein, so doof, wie sie heute dastehen, waren die Freunde der Globalisierung nie. Sehenden Auges wurde die weltweite Verflechtung der Wirtschaft vorangetrieben. Dafür gibt es ein starkes ökonomisches und ein ebenso starkes politisches Argument. Die Theorie der komparativen Vorteile weiß, dass in der internationalen Arbeitsteilung jedes Land sich auf das konzentrieren soll, was es relativ am besten kann – und dass davon wirtschaftlich alle profitieren. Politisch galt diese arrangierte Interdependenz als Friedensprojekt („Wandel durch Handel“): Staaten, die miteinander Handel treiben, würden nicht aufeinander schießen. Warum sollten sie einander die Voraussetzungen ihres Wohlstands zerbomben? Wirtschaftliche Freiheit würde politische Freiheit nach sich ziehen, eine Fortschrittsentwicklung zum Nutzen aller. Aus globalen Kapitalisten würden am Ende gute Demokraten.

Politik fürchtet murrende Autofahrer

Die ökonomische Hoffnung hat sich empirisch bewahrheitet. Von der Globalisierung profitierten die deutschen und amerikanischen Automobilhersteller und die Armen in China und Indien. Die politische Hoffnung freilich ist gescheitert: Wachsender Wohlstand führte nicht zu mehr Demokratien, sondern hat die Autokraten und „illiberalen“ Demokraten in aller Welt politisch stabilisiert und nicht geschwächt.

Das gilt für China, aber auch für Russland, wo freilich Korruption und schwache Institutionen das Wachstum immer schon bremsten. Putins imperialistischer Krieg nimmt den schlimmsten wirtschaftlichen Niedergang des Landes und die Verarmung der Bürger in Kauf: Dem Exodus der ausländischen Investoren und dem Abzug der zugehörigen Technologie folgt der „Braindrain“ von Humankapital. Wir hatten dem Imperator mehr egoistische Rationalität unterstellt. Das war der Fehler des Westens.