Anzeige

Es klingt nach einem der abwechslungsreicheren Prüfaufträge für die Kontrolleure des Europäischen Rechnungshofs in Luxemburg. Die Beamten, die nachhalten, ob die EU-Institutionen verantwortungsvoll mit Steuergeldern wirtschaften, prüfen zwar ganz unterschiedliche Bereiche der EU-Arbeit, aber Roadtrips dürften eher selten zu den Kontrollen gehören.

Aber schließlich ging es diesmal auch um E-Mobilität. Die Behörde hat in einer Sonderprüfung die EU-Förderung für Ladestationen für Elektro-Autos untersucht. Neben der üblichen Prüfungsarbeit, etwa dem Wälzen von Unterlagen, haben zwei Prüfer in der Praxis getestet, was die EU als Ziel ausgegeben hat: Ob in den Mitgliedsländern genügend öffentlich zugängliche Säulen vorhanden sind, damit die Fahrer von E-Autos grenzüberschreitend durch den Kontinent brausen können.

Also fuhren sie los. Wegen der Corona-Restriktionen war die Route limitiert. Von Luxemburg, dem Sitz des Rechnungshofs, nach Deutschland über Österreich nach Italien und von dort über Frankreich zurück nach Luxemburg. Rund 2500 Kilometer legten sie zurück.

Anzeige

„Wir hatten in gewissen Momenten schon Reichweiten-Angst, dieses berühmte klamme Gefühl, das die Nutzer von E-Autos kennen“, sagt einer der Fahrer. Aber es sei alles gut gegangen. „Wir hätten nicht erwartet, dass es so gut laufen würde.“

Die Erfahrung auf der Straße hat die Prüfer positiv überrascht – wohl auch, weil sie gezielt von der EU geförderte Ladestationen abgeklappert und die Distanzen dazwischen gut geplant haben dürften. Insgesamt allerdings übt das neunköpfige Prüfteam harsche Kritik an der EU-Förderung.

Quelle: Infografik WELT

Die sei unkoordiniert, die ausführende EU-Kommission habe keinen Überblick darüber, wo Ladesäulen fehlen, habe kein Gesamtkonzept für den Ausbau der Ladeinfrastruktur, und Fördergelder könnten so nicht in die richtigen Projekte fließen – so das Fazit der Untersuchung. Immerhin sei es der Kommission gelungen, in der EU gemeinsame Mindeststandards für Stecker zum Aufladen von E-Autos durchzusetzen.

Verkehrswende mit Bremsspur

Anzeige

„Wir sind der Auffassung, dass die Kommission mehr tun sollte, um die EU-weite Netzabdeckung zu unterstützen und sicherzustellen, dass Mittel dorthin fließen, wo sie am dringendsten benötigt werden“, sagt Prüfungsleiter Ladislav Balko. „Eine gute Lade-Infrastruktur ist Schlüsselvoraussetzung dafür, dass Europas Autofahrer bis 2050 auf alternative und weitgehend CO2-freie Antriebe wechseln.“

Es ist ein heikles Urteil, denn damit die von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem für das Klima zuständigen Kommissions-Vizepräsidenten Frans Timmermans ausgerufenen ambitionierten Klimaziele Realität werden, muss sich auch das Verhalten der europäischen Autofahrer ändern. Insgesamt 30 Millionen Fahrzeuge mit geringem oder gar keinem CO2-Ausstoß müssen dafür bis 2030 in Europa unterwegs sein. Und die brauchen Ladesäulen.

Die Befunde des Rechnungshofs lassen allerdings daran zweifeln, dass die EU hier auf dem richtigen Weg ist. Ende 2020 standen in den EU-Mitgliedsländern ganze 250.000 Ladesäulen, die in der EU gefördert wurden. Rund 4100 Säulen von Tesla sind dabei nicht mitgezählt. „Die EU ist von dem ehrgeizigen Ziel von einer Million Ladepunkte bis 2025, das sie sich im Grünen Deal gesetzt hat, noch weit entfernt, und es fehlt an einem strategischen Gesamtfahrplan für Elektromobilität“, resümieren die Prüfer.

Anzeige

Das Problem: Ohne genügend Ladesäulen sind Autofahrer nicht bereit, sich von Verbrennern zu verabschieden. Damit die Mobilitätswende tatsächlich stattfindet, müsste die Zahl der Ladepunkte in den kommenden Monaten geradezu explodieren, rechnet Balko vor: In der EU müssten bis 2025 rund 150.000 Ladesäulen im Jahr gebaut werden oder umgerechnet 3000 Stück pro Woche.

In den vergangenen sieben Jahren, in denen rund 343 Millionen Euro an EU-Mitteln in derartige Projekte flossen, entstanden auf diese Weise aber lediglich rund 216.000 Ladesäulen oder knapp 31.000 pro Jahr. „Wenn es bei der Wachstumsrate der Jahre 2014 bis 2020 bleibt, gibt es ein signifikantes Risiko, dass das Ziel nicht erreicht wird.“ Ganz abgesehen davon, dass bis 2050 in Europa drei Millionen Ladesäulen stehen sollen.

Die Ladesäulen sind in Europa zudem sehr ungleich verteilt: Ganze 69 Prozent der mit EU-Förderung gebauten Ladepunkte stehen in lediglich drei Ländern: Deutschland, Frankreich und den Niederlanden. Dementsprechend stark variiert auch die Dichte des Netzes. In Deutschland, Benelux und Großbritannien, das bis zum vergangenen Jahr EU-Fördergelder bekommen hat, ist das Netz am dichtesten; in Ost- und Südosteuropa am weitmaschigsten.

Hinzu kommt, dass Europa zudem viele Ladepunkte vorbei am eigentlichen Bedarf baut – auch wenn das nicht nur der Fehler der EU-Ebene ist. Auf dem Kontinent stehen zu viele schwache Stationen, an denen Autos Stunden stehen müssen, um aufzuladen. „Die große Mehrheit der Ladestationen ist im Moment langsam“, sagt Balko.

Lediglich eine kleine Minderheit von 14 Prozent der Stationen sei schnell oder ultraschnell. Und auch diese Zahl suggeriert eine bessere Infrastruktur, als tatsächlich an den Straßenrändern steht. Denn nach dieser Zählweise gelten alle Stationen, die mit einer Leistung zwischen 22 Kilowatt und 350 Kilowatt arbeiten, als schnell. Das ist eine gewaltige Bandbreite – und 22 Kilowatt; das ist nicht wirklich schnell.

Dabei ist die Leistungsfähigkeit am Ladepunkt entscheidend, um Autofahrern die „Reichweiten-Furcht“ zu nehmen. An langsamen Ladestationen mit einer Leistung von bis zu 22 Kilowatt kann die Ladedauer abhängig von der Leistung der Ladesäule, der Größe der Batterie und anderer Faktoren von zwei Stunden bis zu 16 Stunden dauern. Schnelle Ladestationen mit bis zu 100 Kilowatt Leistung brauchen hingegen lediglich 30 bis 40 Minuten und ultraschnelle Säulen mit einer Leistung von mehr als 100 Kilowatt sogar weniger als 20 Minuten – genug Zeit, um an der Autobahn auf Toilette zu gehen und einen Kaffee zu trinken.

„Für den Ausbau der Infrastruktur muss man sehr klar unterscheiden, wo langsame und wo schnelle Stationen stehen sollen“, sagt denn auch Balko. Für jeden Typ gebe es einen Platz. Letztlich, so die Prüfer, kranke die gesamte Förderung daran, dass eine umfassende Strategie fehle. „Auf EU-Ebene sei bisher nicht klar gewesen, „wie viele Ladestationen benötigt wurden, wo sie angesiedelt werden sollten und welche Ladeleistung sie bieten sollten“, schreiben die Verfasser. Mindestanforderungen an die Infrastruktur fehlten.

Anzeige

Der Rechnungshof fordert deshalb von der EU-Kommission einen entsprechenden Fahrplan für Elektromobilität, auch um die Mitgliedstaaten beim Ausbau zu unterstützen. Nur dann sei es möglich, die EU-Gelder auch dorthin zu lenken, wo der Aufholbedarf am größten ist. Schnell sollte es allerdings gehen: Immerhin sollen in den kommenden Jahren bis zu 750 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds verteilt werden. Ein großer Teil davon soll in Klimainvestitionen fließen. Ladesäulen sollen auf jeden Fall dazugehören.

„Alles auf Aktien“ ist der tägliche Börsen-Shot aus der WELT-Wirtschaftsredaktion. Jeden Morgen ab 7 Uhr mit den Finanzjournalisten von WELT. Für Börsen-Kenner und Einsteiger.Abonnieren Sie den Podcast bei Spotify, Apple Podcast, Amazon Music und Deezer. Oder direkt per RSS-Feed.