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Sicherheitskräfte im Einsatz

Foto: Rodrigo Buendia / AFP

Per Rammbock sind ecuadorianische Spezialeinheiten am Freitag in die mexikanische Botschaft in Quito eingedrungen – ein fast beispielloser Eklat. Sie brachen die Außentür des mexikanischen diplomatischen Sitzes auf und drangen in den Hauptinnenhof ein. Sie hatten es auf einen Gast der Botschaft abgesehen, den früheren Vizepräsidenten Jorge Glas. Dieser wurde nach der Erstürmung der Botschaft medienwirksam abgeführt. Glas’ Anwältin Sonia Vera berichtet von Gewalt gegen ihren Mandanten bei der Verhaftung. Sie sagte, dass Polizisten ihn »zu Boden schlugen, ihm gegen den Kopf, die Wirbelsäule, die Beine und die Hände traten«, und als er »nicht mehr gehen konnte, zerrten sie ihn hinaus«.

Wie begründet Ecuador sein Vorgehen?

Die ecuadorianischen Behörden wollten den früheren Vizepräsidenten verhaften. Bei diesem bestehe Fluchtgefahr, sagte der ecuadorianische Präsident Daniel Noboa. Jorge Glas hatte im vergangenen Dezember in der mexikanischen Botschaft in Quito Zuflucht gesucht, nachdem ein Haftbefehl wegen Korruptionsvorwürfen gegen ihn erlassen worden war. Mexiko hatte dem Politiker am Freitag »nach einer gründlichen Analyse« politisches Asyl gewährt. Noboa hatte das als »illegale Handlung« bezeichnet.

Zu diesem Zeitpunkt gab es nach Angaben des mexikanischen Außenministeriums bereits eine »verstärkte Präsenz ecuadorianischer Polizeikräfte« vor der Botschaft in Quito. Dies sei »Schikane« und eine »Verletzung der Genfer Konvention«, kritisierte Mexiko. Stunden später brach die Polizei die Außentür der Botschaft auf und nahm Glas fest.

Wie reagiert Mexiko?

Mexiko hat die diplomatischen Beziehungen zu Ecuador abgebrochen und alle Diplomaten aus dem Land abgezogen. »Dies ist ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht und die Souveränität Mexikos«, schrieb López Obrador in sozialen Medien. Er habe die Aussetzung der diplomatischen Beziehungen zu Ecuador angeordnet.

Alicia Bárcena, Mexikos Außenministerin, dankte den zurückkehrenden Diplomaten, dass sie »unsere Botschaft in Quito verteidigt haben, sogar unter Einsatz ihres eigenen körperlichen Wohlbefindens«. Sie verglich das Vorgehen in Ecuador mit dem Verhalten des einstigen chilenischen Diktators Augusto Pinochet. »Nicht einmal der Diktator Pinochet hätte es gewagt, die mexikanische Botschaft in Chile zu betreten«, sagte sie am Sonntag.

Mexiko will die Razzia vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag bringen. »Wir glauben, dass wir diesen Fall schnell gewinnen können«, sagte die Außenministerin. Nach Angaben Bárcenas unterstützen 18 Länder in Lateinamerika, 20 in Europa und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) Mexiko in dieser Sache.

Wie reagieren andere Staaten?

Der Vorfall rief international Empörung hervor. Nach zahlreichen lateinamerikanische Staaten verurteilte am Sonntag auch die EU die Erstürmung der Botschaft. Uno-Generalsekretär António Guterres reagierte »alarmiert« auf den Vorfall in Quito. Die OAS erinnerte ihre Mitglieder, zu denen auch Ecuador und Mexiko gehören, an ihre Verpflichtung, »sich nicht auf Normen des nationalen Rechts zu berufen, um die Nichteinhaltung ihrer internationalen Verpflichtungen zu rechtfertigen«.

Ein Sprecher des US-Außenministeriums sagte: »Die Vereinigten Staaten verurteilen jede Verletzung des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen und nehmen die völkerrechtliche Verpflichtung der Gastländer, die Unverletzlichkeit der diplomatischen Vertretungen zu respektieren, sehr ernst.« Er rief die beiden Länder dazu auf, ihre Differenzen beizulegen.

Das spanische Außenministerium erklärte: »Das gewaltsame Eindringen in die mexikanische Botschaft in Quito stellt einen Verstoß gegen das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen von 1961 dar. Wir rufen zur Achtung des Völkerrechts und zur Harmonie zwischen Mexiko und Ecuador auf, die mit Spanien befreundet und Mitglieder der iberoamerikanischen Gemeinschaft sind.«

Geht es bei dem Sturm auf die Botschaft nur um den Kampf gegen Korruption?

Außenpolitisch dürfte die Verletzung der mexikanischen Vertretung Ecuador weiter isolieren und die ohnehin großen Spannungen zwischen den beiden Ländern weiter anheizen. Doch innenpolitisch könnte der Vorfall dem 36-jährigen Präsidenten Daniel Noboa nützen. Dieser wurde im November vergangenen Jahres gewählt, als das Land gegen beispiellose Drogenkriminalität kämpfte . Seither geht der Mitte-rechts-Politiker und Sohn eines Bananen-Tycoons  hart gegen Gewalt, Korruption und Drogenhandel vor.

Noboa sprach im Januar von einem »internen bewaffneten Konflikt« und bezeichnete 20 Drogenhändlerbanden als terroristische Gruppen, die das Militär im Rahmen des humanitären Völkerrechts »neutralisieren« dürfe. Noboas Amtszeit endet bereits 2025, da er nur für die restliche Amtszeit des zurückgetretenen Präsidenten Guillermo Lasso gewählt wurde. Die Aktion zur Verhaftung von Jorge Glas und der Streit mit Mexiko könnten Noboa, dessen Zustimmungswerte zuletzt schwanden, den Rücken für die Wahl im kommenden Jahr stärken.

Wer ist Jorge Glas?

Jorge Glas war in der ersten Amtszeit des linksgerichteten Präsidenten Rafael Correa (2007-2017) Strategieminister, später Vizepräsident. Im Jahr 2017 war er wegen Korruption zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden. Glas soll gegen Bestechungsgeld öffentliche Aufträge zum Bau von Erdölinfrastrukturprojekten an den brasilianischen Konzern Odebrecht vergeben haben. Der Fall ist Teil eines weitreichenden Skandals um den Bauriesen, bei dem mehrere Personen verurteilt wurden.

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Nach dem Urteil unterstützte der frühere Präsident Correa seinen ehemaligen Minister und Vize und sprach von politischer Verfolgung. Correa wurde 2020 selbst wegen Korruption zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Bei ihm ging es um Zahlungen eines Baukonzerns.

Glas war erst im November vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden. Eine Richterin entschied im Dezember jedoch, dass er gegen Bewährungsauflagen verstoßen habe und den Rest seiner Strafe, insgesamt zwei Jahre und elf Monate, absitzen müsse. Zusätzlich gibt es weitere Korruptionsvorwürfe gegen ihn: Er hat angeblich Gelder abgezweigt, die für den Wiederaufbau nach einem verheerenden Erdbeben im Jahr 2016 bestimmt waren.

Welchen legalen Status haben Botschaften?

Diplomatische Einrichtungen gelten nach den Wiener Übereinkommen von 1961 als fremder Boden und unverletzlich. Strafverfolgungsbehörden des Gastlandes dürfen sie ohne Erlaubnis des Botschafters nicht betreten. Diplomaten und ihre Familien genießen Immunität – ihnen ist Straffreiheit garantiert. Letzteres führt öfters schon zu heiklen Situationen.

Immer wieder flüchten Menschen in Botschaften anderer Länder, um Verfolgung zu entgehen. Prominentes Beispiel ist die ecuadorianische Vertretung in London, die den WikiLeaks-Gründer Julian Assange sieben Jahre lang beherbergte, um ihn vor der Verhaftung durch die britische Polizei zu schützen. Erst 2019 verließ Assange die Botschaft und steht seitdem vor Gericht.

Was war dem Sturm auf die Botschaft vorausgegangen?

In der vergangenen Woche, also noch vor der Asylerteilung an Glas und dem Sturm der ecuadorianischen Sicherheitskräfte auf die Botschaft, hatten sich die diplomatischen Spannungen zwischen den beiden Ländern verschärft. Am 3. April stellte Mexikos Präsident López Obrador die Wahl seines ecuadorianischen Amtskollegen Noboa infrage.

Nach der Ermordung des Präsidentschaftskandidaten Fernando Villavicencio, der im August beim Verlassen einer Wahlkampfveranstaltung erschossen wurde, habe ein Kandidat »auf verdächtige Weise« die Wahlen in Ecuador gewonnen, sagte er in einer Ansprache. López Obrador nannte zwar nicht Noboas Namen, deutete aber an, dass der Kandidat die Wahl gewonnen habe, indem er »den Moment ausnutzte«.

Am Tag darauf hatte Ecuador die mexikanische Botschafterin zur Persona non grata erklärt und sie angewiesen, das Land zu verlassen. Sie war seit 2019 Botschafterin Mexikos in Ecuador. López Obrador sagte, er werde ein Militärflugzeug schicken, um die Botschafterin nach Hause zu bringen.

Mit Material der Agenturen