Morgenröte“ muss nicht immer ein Versprechen auf einen besseren Morgen, mehr Licht oder Hoffnung bedeuten. Am Ende des gleichnamigen Festivals in Teheran, mit dem Iran seine islamische Revolution 1979 feiert, könnte Jafar Panahi tot sein. Der iranische Filmregisseur schrieb am ersten Tag der offiziellen Feierlichkeiten seiner Frau aus dem Gefängnis, dass er die Haft nicht länger aushalten könne. Deshalb trete er in einen „trockenen Hungerstreik“ und werde diesen so lange fortsetzen, bis er „entweder lebendig oder als Leiche“ das Gefängnis verlasse. Seine Frau hatte das Schreiben am Mittwochabend auf Instagram veröffentlicht. Kurz erläutert der zweiundsechzigjährige Filmemacher darin, warum seine Verhaftung und Verurteilung gegen iranische Gesetze verstoße, und zitiert dann seinen Richter, der dies damals mit den Worten kommentierte: „Wir haben dich im Nirgendwo gesucht, jetzt freuen wir uns, dich hier zu haben.“ Panahi sitzt im berüchtigten Evin-Gefängnis am Rande Teherans, das für seine harten Haftbedingungen bekannt ist.

Unter dem Namen „Zehn Tage zur Morgenröte“, was klingt wie der Titel eines Drehbuchs, ist in Wahrheit das gigantische, zehn Tage währende Fest, mit dem die Islamische Republik ihre offiziellen Feierlichkeiten zum Jahrestag der Revolution begeht, zu verstehen. Seit 43 Jahren wiederholt sich das immer gleiche Szenario. Die Feierlichkeiten beginnen am 1. Februar, dem Jahrestag von Khomeinis Rückkehr aus dem Exil, und enden am 11. Februar, jenem Tag, an dem am frühen Morgen ein Radiosprecher den Sieg der Revolution verkündete.

Zu Propagandazwecken wurde eine gigantische Filmindustrie erschaffen

Nicht zufällig bezieht sich der Name auf den Roman „Zehn Tage, die die Welt erschütterten“ von John Reed über die russische Revolution, zu dem Lenin das Vorwort schrieb und der später mehrfach verfilmt wurde, zuletzt mit Warren Beatty. Für die schiitische Geistlichkeit hingegen ist der religiöse Hintergrund maßgeblich. Denn „Morgenröte“ ist der Titel einer Koransure, in der ebenfalls von zehn Tagen und Nächten die Rede ist. Gott berichtet darin den Gläubigen, wie gnadenlos er die Gottlosen bestraft habe.

Für ihre ausufernden Siegesfeierlichkeiten benötigen die Machthaber seit jeher die Unterstützung von Künstlern, vor allem von Filmemachern, versierten Dokumentaristen und Dramaturgen, weshalb im Zentrum der Feierlichkeiten ein Film-, Theater- und Literaturfestival steht. Hier insbesondere lässt sich das Paradox der hybriden Macht Irans studieren, die sich Republik nennt. Denn die Macht, die vor allem von der Propaganda lebt, stampfte eigens aus diesem Grund eine gigantische Filmindustrie aus dem Boden, die nach Indien heute die zweitgrößte Asiens ist. Denn es galt, Filme zu produzieren, um die politisch und religiös gemäßen Inhalte zu propagieren. Die fundamentalistische Kultur wurde nicht zuletzt über die Kinosäle in sämtliche Bereiche der Gesellschaft getragen.

Am Rande dieser Filmindustrie ist in den vergangenen vierzig Jahren zugleich das sogenannte „iranische Kino“ entstanden. Zu diesem zählen ambitionierte Regisseure wie eben Jafar Panahi, aber auch Mohsen Makhmalbaf, Abbas Kiarostami, Asghar Farhadi und Majid Majidi, die mit wenigen Mitteln und allen Hindernissen zum Trotz immer aufs Neue innovative Werke hervorbringen. Als Meister der subtilen Bilder und hohen Filmkunst wurden sie in den vergangenen Jahren mit zahlreichen Preisen im Ausland geehrt und gefeiert. In ihrer Heimat hingegen werden sie allenfalls geduldet, meist zensiert und nicht selten verfolgt.