Wie übersetzt man Liebesbriefe, fragte der Deutsche Übersetzerfonds im Dezember 2020 und rief schon zum zweiten Mal gemeinsam mit dieser Zeitung einen „Wettbewerb der Übersetzer“ aus. Dieses Mal ging es ums Übersetzen aus dem Französischen, und das Institut français Berlin kooperierte. Im Raum standen Fragen wie: Was braucht es für eine gute Übersetzung? Und: Wie entwickelt sich in diesen sich globalisierenden Zeiten die Übersetzungskultur?

Beim Wettbewerb 2017 war ein früher Text von Don DeLillo ausgeschrieben worden. Damals lobte Ulrich Blumenbach die „Spitzenwortler“ mit ihren „semantisch präzisen, in ihrer Bildkraft originellen, rhythmisch brillanten und stilistisch gelungenen Übersetzungen“. Diesmal waren es zwei Liebesbriefe des Dichters Guillaume Apollinaire an seine Geliebte, Louise de Coligny-Châtillon („Lettres à Lou“), der eine datiert auf den 10. Dezember 1914, der andere auf den 24. Mai 1915. Profis wie Laien konnten sich beteiligen; begutachtet wurden die knapp 340 anonymisierten Einsendungen von einer Jury bestehend aus Brigitte Große, Aurélie Maurin, Tilman Spreckelsen, Anne Weber und mir. Man sah sofort, auch wenn das Erlernen der französischen Sprache in den Schulen derzeit rückläufig ist – die Leidenschaft für die Arbeit an dieser Sprache ist ungebrochen.

Jede Übersetzungskritik setzt voraus, dass man Inhalt, Rhythmus und Stillage des Ausgangstextes befragt. Die Briefe an Louise zeigen Apollinaire als chronisch liebeskrank, und bei den beiden ausgewählten Briefen fallen neben den präzisen Beobachtungen die umgangssprachlichen Einsprengsel und die telegrammartigen Verkürzungen ins Auge. Während der zweite Brief leicht melancholisch wirkt – das Ende des Krieges lässt ebenso auf sich warten wie das Wiedersehen mit Louise –, gehen in dem ersten hastig in der Kantine niedergeschriebenen Billet d’amour Militär- und Liebesbegeisterung in eins. „Mon Lou adoré“, schreibt Apollinaire! „Lou“, das, von Louise kommend, wie „loup“ (Wolf) klingt, ist ein nicht gerade seltener Kosename. Doch: Was macht man heutzutage mit dem „mon“? Ein männlicher Kosename für eine weibliche Geliebte, geht das überhaupt noch in diesen gendergerechten Zeiten?

Ein Bischofskommandant und viele Behaarte

Das Fragen geht weiter: Darf, soll, muss man das Deutsch hier und da ein wenig älter machen als die eigene Sprache? Eine weitere Krux: die Militaria? Schließlich: Was wissen wir vom Aufbau der französischen Armee im Ersten Weltkrieg? Was war oder ist ein Bischofskommandant („évêque commandant“)? Und wie übersetzt man die berühmten „poilus“ (die Behaarten) – jenes französische Pendant für den meist unrasierten Landser des Ersten Weltkriegs? Es überzeugt, „les boches“ (der französische Schimpfname für die Deutschen) mit „Pickelhauben“ zu übersetzen, wohingegen der englische Schimpfname „Fritz“ den Brief aus dem Kontext herauskatapultiert. Die einfachsten Dinge verunklaren sich, wenn man nicht weiß, was ein „bombardier“ ist und wer ein „brigardier“? Ein Unteroffizier, ein Gefreiter, ein Obergefreiter? Es ist das tägliche Brot des Übersetzers, sich permanent neue Wissensbereiche erschließen zu müssen. Wer also aus den eingereichten Übersetzungen auf den Geisteszustand unseres Landes schließen möchte, könnte als Allererstes konstatieren: Wir leben in einer entmilitarisierten Zone.