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Wer ein Datum sucht, an dem die Politik die Kontrolle über die dritte Pandemie-Welle aus der Hand gegeben hat, an dem sie quasi eigenhändig dafür sorgte, dass viele Intensivstationen derzeit in Sichtweite ihrer Grenzen geraten, der sollte auf den 3. März 2021 schauen. Damals, im Zuge einer Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin, wurde die „Notbremse“ in das Corona-Regelwerk gefügt.

Sie besagt, dass in Regionen mit hohen Inzidenzwerten strengere Maßnahmen gelten als in Regionen mit geringerer Infektionsgefahr. Die Grenze wurde nach dem Willen der Ministerpräsidenten und zum Unwillen der Kanzlerin, die für deutlich niedrigere Grenzwerte plädiert hatte, bei 100 Infektionen pro 100.000 Einwohnern gesetzt. Das war, wie man heute sieht, ein Fehler.

Die Notbremse wird nicht zu selten gezogen – die Länder halten sich grundsätzlich an die selbst gesetzten Regel. Ausnahmen sind gut begründet, gelegentlich von Gerichten erzwungen, manchmal auch bloße Pose. Das eigentliche Problem aber ist, dass die Notbremse zu spät greift. Und zwar unabhängig, ob sie wie bisher von den Ländern oder demnächst vom Bund gezogen wird.

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Insofern ist das Gerangel, das Bundesregierung, Bundestagsfraktionen und Länder seit Tagen um die Änderung des Infektionsschutzgesetzes veranstalten, ein reines Scheingefecht. Es dient, wenn man es ein bisschen gemein ausdrückt, einzig der Gesichtswahrung der Kanzlerin. Angela Merkel hatte in einem schlecht vorbereiteten Auftritt bei Anne Will nicht nur ihren potenziellen Nachfolger Armin Laschet demontiert, sondern auch sich selbst unter Zugzwang gesetzt: „Ich werde nicht tatenlos noch 14 Tage zusehen.“

Formal hat sie sich an diesen Satz – fast – gehalten. 16 Tage hat es gedauert bis zum Kabinettsbeschluss über die Änderung des Infektionsschutzgesetzes, die dem Bund mehr Rechte bei der Pandemiebekämpfung verschaffen soll. Konkret ändert sich dagegen nichts.

Das liegt zum einen daran, dass neben den Ländern nun auch der Bundestag in die Entscheidungsfindung einbezogen wird – was diese und alle folgenden Regeländerungen noch komplizierter, langwieriger und ineffizienter macht. Zum anderen wird der entscheidende Fehler der „Länder-Notbremse“ durch die „Bundes-Notbremse“ nicht korrigiert. Der Grenzwert bleibt bei 100 – und damit zu hoch, um die Lage wieder in den Griff zu bekommen.