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Nicht nur in Europa ist die Impfstoff-Verteilung eine schleppende Angelegenheit – auch in Australien wächst der innenpolitische Druck, weil die Immunisierung der Bevölkerung nur langsam voranschreitet. Nun geht die australische Regierung einen Weg, der auch bei einigen ihrer europäischen Amtskollegen beliebt ist: Sie gibt Brüssel die Schuld.

Canberra wirft der EU vor, den Export von AstraZeneca-Impfdosen nach Australien zu verhindern; anderslautende Behauptungen Brüssels seien reine „Wortklauberei“.

Premierminister Scott Morrison erklärte, Liefer-Engpässe seien der Grund dafür, dass Australien sein Ziel von vier Millionen Geimpften bis Ende März verfehlt hat – eine Bemerkung, die sich Berichten zufolge gegen die EU richtete. Stunden später stritten sich beide Seiten erneut; dabei wies Brüssel die Behauptung aus australischen Regierungskreisen zurück, eine Lieferung von 3,1 Millionen Dosen blockiert zu haben.

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Auf einer Pressekonferenz beharrte Morrison auf seiner Position: „Zu keinem Zeitpunkt habe ich gestern irgendeinen Kommentar über die Vorgehensweise der Europäischen Union abgegeben“, sagte er. „Ich habe lediglich eine Tatsache festgestellt – nämlich dass 3,1 Millionen der vertraglich vereinbarten Impfstoffe, auf die wir uns Anfang Januar bei der Festlegung unserer Ziele verlassen hatten, nicht in Australien angekommen sind.“

Die EU hat tatsächlich Anfang März formell eine Lieferung von 250.000 Dosen Oxford/AstraZeneca von Italien nach Australien gestoppt. Es sei das einzige Mal gewesen, dass sie von entsprechenden Befugnissen Gebrauch gemacht habe, hieß es in Brüssel.

Bis zum 31. März gab es sieben offene Anträge für Impfstoff-Exporte, laut einem EU-Vertreter keiner davon aus Australien. „Exportanträge würden vom Unternehmen an die zuständigen Mitgliedstaaten und dann an die Kommission zur Genehmigung gehen – bis jetzt haben wir keinen solchen Antrag gesehen“, sagte er.

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Das entspricht der Aussage eines hochrangigen EU-Beamten vom Mittwoch: „Es sind derzeit keine weiteren AstraZeneca-Anträge für Lieferungen nach Australien in der Pipeline.“

Streit um die Anträge

Canberra behauptet jedoch, dass AstraZeneca deshalb keine Exportgenehmigung in Brüssel beantragt hat, weil dem Unternehmen klar sei, dass die Anträge abgelehnt würden. „AstraZeneca hat von Europa keine Exportlizenz bekommen, um die verbleibenden Dosen zu verschicken, und sie wissen, dass die Anträge nicht von der Europäischen Kommission genehmigt werden“, sagte ein australischer Regierungssprecher dem „Sydney Morning Herald“.

„Die Europäische Kommission selbst hat bestätigt, dass ihr Exportkontrollverfahren die Ausfuhr in Teilen blockiert hat, einschließlich einer Lieferung von 250.000 Dosen. Außerdem haben sie uns aufgefordert, andere Anträge auf Exportgenehmigungen zurückzuziehen.“

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Morrison sagte, dass es auf Briefe mit Impfstoff-Anfragen aus Canberra an die EU keine Antwort gab. Und fügte hinzu, dass er erneut eine formale Genehmigung von AstraZeneca für die Freigabe der blockierten Impfstoffe einholen würde.

„Selbstverständlich wollen wir diese Millionen Dosen“, sagte der Premierminister. „Angesichts der Aussagen, die über Nacht [von der EU] gemacht wurden, dass dem offenbar nichts im Weg steht, (...) würde ich hoffen, dass das jetzt ohne Weiteres angegangen werden kann.“

Zuvor hatte Schatzkanzler Josh Frydenberg dem TV-Sender ABC gesagt, dass die „Genehmigungsverweigerung“ der EU für Impfstoff-Exporte nach Australien „effektiv dasselbe ist wie eine Blockade“.

Weiter sagte er: „Die Europäer haben sowohl in öffentlichen als auch in privaten Erklärungen absolut klargemacht, dass keine weiteren Dosen von AstraZeneca kommen werden, bis sie ihre eigenen Bestellungen erfüllt haben, also ist genau das unser Problem.“

Von der Leyen war die falsche Ansprechpartnerin

Doch die EU pocht darauf, dass Canberra die falschen Leute kontaktiert hat. Morrison hätte an die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, geschrieben, aber „der Vertrag, den Australien unterzeichnet hat, ist mit AstraZeneca, nicht mit der EU“, so ein EU-Sprecher.

Andere Behördenvertreter sagten, Australiens Problem sei das gleiche wie das der EU: AstraZeneca hält die Lieferverpflichtungen nicht ein.

„Die Europäische Kommission beruft sich auf Begrifflichkeiten, aber am Ende des Tages wollen wir nur das, was wir bestellt haben, damit wir mehr Impfstoffe in die Hand bekommen“, sagte der australische Regierungssprecher dem „Sydney Morning Herald“.

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Bei einer Bevölkerung von über 25 Millionen haben bis zum 6. April 920.334 Australier einen Impfstoff gegen das Coronavirus erhalten, so die aktuellen Zahlen der Regierung. Insgesamt hat Australien mit nur 29.365 Infektionen und 909 Todesfällen während der Pandemie besser abgeschnitten als die meisten anderen Länder.

Mitarbeit: Jillian Deutsch, Jakob Hanke Vela