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Sieben aufgetretene Fälle einer „Sinusvenenthrombose“ im Gehirn waren es, die in Deutschland zu einer vorläufigen Aussetzung der Covid-19-Impfungen mit dem AstraZeneca-Vakzin geführt haben. Sechs Frauen und ein Mann waren betroffen, drei von ihnen sind bislang gestorben. Weitere Einzelfälle traten in anderen europäischen Ländern auf, während beim allergrößten Teil der Millionen Geimpften weltweit keine schweren Nebenwirkungen auftraten. „Für die Aller-, Aller-, Aller-, Allermeisten besteht kein Risiko“, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn am Montag.

Da Wissenschaftler einen Zusammenhang mit der Impfung aber nicht ausschließen können, entschied die Bundesregierung auf Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts einen vorläufigen Impfstopp - bis die Zusammenhänge näher untersucht und überprüft worden sind.

Wodurch traten die Thrombosen auf?

In allen berichteten Fällen wurden die Thrombosen durch eine Autoimmunreaktion ausgelöst, eine sogenannte Thrombozytopenie. Hierbei werden, oft durch einen externen Auslöser, Antikörper gegen Blutplättchen gebildet, die sogenannten Thrombozyten. Diese sind essenziell für die Blutgerinnung im Körper.

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Bei den berichteten, extremen Fällen, sank deren Anzahl im Körper so stark, dass in der Folge Thrombosen in der Hirnhaut, in den großen venösen Gefäßen im Gehirn, auftraten, die wiederum einen Schlaganfall auslösen können.

Wie oft tritt eine Thrombozytopenie sonst auf?

Die grundsätzliche Autoimmunreaktion auf die eigenen Blutplättchen kann speziell bei medizinischen Behandlungen mit Heparin vorkommen. Etwa ein bis fünf Prozent dieser Patienten entwickeln diese, wobei es wiederum bei einem Drittel zu Thrombosen im Körper kommen kann. Die Nebenwirkung tritt bei der Gabe von Heparin also deutlich häufiger auf, als bislang Fälle nach Impfungen bekannt sind. Oft ist sie auch eine Folge von Viruserkrankungen und kann behandelt werden.

Die gefürchtete Sinusvenenthrombose kommt pro Jahr dagegen mit einer Häufigkeit von drei bis vier pro eine Million Erwachsenen sehr selten vor, in 75 Prozent der Fälle sind Frauen betroffen. Tatsächlich vermutet man als Ursache für diesen Geschlechterunterschied, dass die Einnahme der Pille das Auftreten begünstigen kann.

Kam es auch bei anderen Covid-Impfstoffen zu ähnlichen Fällen?

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Ja. Tatsächlich sind in den USA bereits im Januar mehrere dutzend vergleichbarer Fälle nach Impfungen mit den Moderna- und Pfizer/Biontech-Impfstoffen aufgetreten. Dabei kam es auch zu mindestens einem Todesfall, dem Arzt Dr. Gregory Michael aus Florida. Die Fälle wurden im „Vaccine Adverse Event Reporting System“ der Regierung vermerkt.

Darüber berichtete bereits Anfang Februar die „New York Times“, im „American Journal of Hematology“ erschien auch eine wissenschaftliche Untersuchung dazu. Die Symptome traten zwischen einem und 23 Tagen nach der Impfung auf. Mehrere Betroffene hatten bereits in der Vergangenheit eine Thrombozytopenie oder im Vorfeld bereits niedrige Thrombozyten-Werte im Blut. Als beste Behandlung erwies sich eine Kombination aus Transfusionen mit Blutplättchen, der Gabe von Kortikosteroiden und Immunglobulinen.

Die Thrombozytopenie ist auch bei Impfungen gegen Mumps / Masern / Röteln eine bekannte Nebenwirkung - hier beträgt die Prävalenz 1:40.000, ebenso kommt sie in seltenen Fällen bei einer Impfung gegen Windpocken vor. Die Heftigkeit des Thrombozytenverlusts entscheidet, wie folgenschwer dieser enden kann, speziell durch das Auftreten von Hirnthrombosen.

Kann Thrombozytopenie auch bei einer Covid-19-Erkrankung auftreten?

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Ja. Eine Studie an Covid-19-Patienten in Wuhan, China, beschrieb bereits im April 2020 das gehäufte Vorkommen der Thrombozytopenie bei Patienten mit schweren Verläufen der Krankheit. Je geringer die Anzahl der vorhandenen Blutplättchen war, desto höher die Sterbewahrscheinlichkeit des Patienten.

Welche Symptome hat die Thrombozytopenie?

Betroffene in den USA hatten unter anderem sichtbare, großflächige Einblutungen in der Haut, auch traten übermäßiges Nasenbluten, Zahnfleischbluten oder starke vaginale Blutungen auf. Jens Spahn nannte in seiner Pressekonferenz am Montag als Anzeichen „starke, anhaltende Kopfschmerzen und punktförmige Hautblutungen“.

Ist die Pille nicht viel gefährlicher?

Tatsächlich treten im Zusammenhang mit der Pille Thrombosen viel häufiger auf. Auch der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, zog diesen Vergleich daher - bis er am Montag Abend damit aufhörte, wie er im „Deutschlandfunk“ erklärte. In Bezug auf normale Thrombosen sei der Vergleich nicht falsch. Allerdings gehe es beim Impfstopp nun um eine spezielle Form der Thrombosen, ausgelöst durch eine Autoimmunreaktion.

Auch SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sagte, die Thrombosen, die es nach Einnahme der Pille gebe, seien in der Schwere nicht vergleichbar mit den nun aufgetretenen Thrombosen. Jene traten aber sehr wohl deutlich seltener auf. Zahlen der EMA schätzen, dass jährlich 1.100 Thrombosefälle bei einer Million Frauen durch die Pille auftreten - während bei der AstraZeneca-Impfung nun sieben in einer Woche vorkamen.

Ist die mögliche Nebenwirkung ein Grund, sich nicht impfen zu lassen?

Das kommt auf die individuelle Gefahrenabschätzung an. Diverse Medikamente, die auf dem Markt existieren, können in seltenen bis sehr seltenen Fällen schwere Nebenwirkungen haben. Allein Schmerzmittel wie Ibuprofen und Diclofenac können zu Magenblutungen und in zwei bis neun Fällen pro 1000 Patienten zu Herzinfarkten und Schlaganfällen führen. Auch das bei Koliken eingesetzte Novamin kann schwere anaphylaktische Reaktionen auslösen. Die Nebenwirkungen der als Verhütungsmittel weit verbreiteten Pille sind noch umfangreicher. Im Falle der Impfungen bietet sich ein Vergleich mit dem Beipackzettel von Medikamenten an. Wer Medikamente aufgrund von möglichen Nebenwirkungen die als „sehr selten“ aufgeführt sind, nicht nimmt, der könnte nun auch vor der Impfung zurückscheuen. Wer die Mittel trotzdem einnimmt, sollte auch vor der Impfung nun keine Angst haben.

Welche Folgen hat der Impfstopp?

Zunächst einmal gerät die gesamte Impfkampagne in Verzug, speziell wenn auch die aufgetretenen Fälle bei den Moderna- und BioNtech-Impfstoffen stärker ins Visier geraten würden und womöglich auch hier ein Impfstopp verhängt wird. Im besten Fall aber identifizieren Forscher möglicher Auslöser einer Thrombozytopenie in den Impfstoffen, variieren diese gegebenenfalls oder empfehlen ihn konkreten Menschen mit bestimmten Prädispositionen nicht. Hierfür müssen aber die Zusammenhänge näher erforscht werden.