Selbst die Championesse konnte ihren Siegeszug nach Vollendung erst mal nicht richtig einordnen: „Es ist erstaunlich“ sagte Skip Silvana Tirinzoninach dem mit dem letzten Stein im zehnten End sichergestellten 7:6-Erfolg im Finale der Curling-WM gegen Südkorea: „mir fehlen die Worte“.Doch auch wenn es im Endspiel durchaus eng war – am Ende der Spielwoche in Prince George an der kanadischen Westküste standen 14 Siege aus 14 Spielen für Tirinzoniund ihre Mitstreiterinnen – der Erfolg des Schweizer Frauenteams vom CC Aarau kann wohl als fulminanter Durchmarsch bezeichnet werden.

Achim Dreis

Sportredakteur.

  • Folgen Ich folge

Und es ist zugleich die Vollendung einer Trilogie der Triumphe, denn die Schweizerinnen waren auch schon 2019 und 2021 Weltmeisterinnen ihres Fachs. Eine solche Serie, wie sie Melanie Barbezat, Esther Neuenschwander, Alina Pätz und Silvana Tirinzoni nun vorlegten, ist bislang einzigartig in der Welt des Curlings.

Der erste Erfolg 2019 in Dänemark kam dabei noch durchaus überraschend, nach Platz vier in der Vorrunde drehten die Schweizerinnen damals erst in den Play-offs richtig auf und sicherten sich schließlich mit einem 8:7 gegen die Schwedinnen um Olympiasiegerin Anna Hasselborg den Titel.

Die Performance 2021 in Calgary glich dann schon dem Durchmarsch von diesmal. 14:1 Siege lautete vor Jahresfrist die Bilanz (einzige Vorrunden-Niederlage gegen Hasselborgs Schwedinnen) – die nun nach Schweizer Art noch perfektioniert wurde: „Ich kann es nicht satt haben, Weltmeisterin genannt zu werden“, sagte Silvana Tirinzoni nach dem Triple und fügte noch an: „Ich bin so stolz auf das Team“.

Dabei kann der Hintergrund der Erfolgsgeschichte und die Zusammenstellung der Frauschaft durchaus als originell bezeichnet werden. Nach dem enttäuschenden siebten Rang bei Olympia 2018 hatte die studierte Betriebswirtin Silvana Tirinzoni nämlich mit Ende 30 ihr Leben komplett umgekrempelt. Sieben Jahre lang hatte die Finanzanalytikerin und Vermögensberaterin als Projektmanagerin bei einer Bank gearbeitet, und den Leistungssport nur als zeitintensives Hobby nebenbei betrieben. Nun kündigte sie ihren sicheren Job und setzte alles auf die unsichere Karte Curling. Um sich dieses finanziell volatile Sportlerinnen-Leben leisten zu können, scheute die 1979 geborene Silvana Tirinzoni auch nicht davor zurück, mit Anfang 40 noch einmal in einer Wohngemeinschaft einzuziehen, um Kosten zu reduzieren.

Und, der zweite Coup der im zweiten Kapitel ihres Berufslebens kompromisslosen Sportlerin: Sie schloss sich mit ihrer vorherigen Rivalin Alina Pätz zusammen. Aus zwei auf nationaler Ebene konkurrierenden Teams entstand somit eine schlagkräftige Einheit, die sich anschickte, die Sportart zu dominieren. Und obwohl sie als Skip die Spieltaktik bestimmt, spielt Tirinzoni in dieser Konstellation auf der dritten Position, und überließ der elf Jahre jüngeren und nervenstärkeren Pätz die Rolle der vierten und letzten Spielerin für die entscheidenden Steine – was sich nicht erst in Prince George mit dem siegbringenden Double-Take-Out im letzten End als goldrichtig erwies.

Auch der dreifache WM-Erfolg gab Tirinzoni mit ihrem Lebens-Roulette Recht, doch eine offene sportliche Wunde bleibt: ausgerechnet bei den Olympischen Spielen vor ein paar Wochen in Peking war dem Team Tirinzoni/Pätz in den entscheidenden Spielen die Energie verloren gegangen. Nach einer annähernd makellosen Vorrunde mit 8:1 Siegen, kassierten die Schweizerinnen eine überraschende Halbfinal-Niederlage gegen die Außenseiter aus Japan und schließlich einen weiteren Dämpfer im Kampf um Bronze – ausgerechnet gegen die alten Rivalinnen um Anna Hasselborg aus Schweden. Tirinzoni war schon in Tokio die älteste Teilnehmerin im Feld – doch das ist kein Grund, es in Mailand 2026 nicht noch mal zu probieren.