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Abende in der Champions League bringen beim FC Bayern besondere Geschichten hervor. Oft neben dem Rasen. In der Halbzeitpause gegen Real Madrid verpasste Franck Ribéry seinem Kollegen Arjen Robben in der Kabine einst ein Veilchen. In Lyon verglich Franz Beckenbauer die Münchner mal mit der „Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft.“

Und in London übergab Klubchef Karl-Heinz Rummenigge auf dem Bankett nach einem 3:0 beim FC Chelsea Hans-Dieter „Hansi“ Flick einen Stift. Ein Geburtstagsgeschenk als Hinweis, dass Flick einen langfristigen Vertrag als Cheftrainer bekommen würde. So kam es, Flick unterschrieb bis 2023.

Rummenigges Präsentübergabe in einem Saal voller Menschen ohne Maske ist gerade mal ein gutes Jahr her. Und wirkt doch wie aus einem anderen Zeitalter. Nicht nur wegen der Pandemie.

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Seitdem hat sich beim deutschen Rekordmeister sehr viel geändert. Flick hat eine ganz andere Stellung und Ansprüche. Er entwickelte sich von der Lösung auf Zeit zur Toplösung. Und so schnell er aufgestiegen ist, so zügig könnte er die Bayern verlassen. Nach gerade mal gut eineinhalb Jahren – in denen er allerdings alles gewann.

Knapp fünf Minuten langer Monolog

Die Königsklassen-Reise mit dem Trainer, diese Erfolgstour, die im Winter 2019 begann und über den Stift-Abend in London zum Titelgewinn in Lissabon im Sommer führte, endete Dienstagabend in Frankreich. Die Münchner kamen dort nicht über ein 1:0 (1:0) bei Paris Saint-Germain hinaus und schieden nach dem 2:3 im Hinspiel im Viertelfinale aus. Für Flick dürfte es die letzte Partie in der Königsklasse als Bayern-Trainer gewesen sein.

Gemeinsam unzufrieden: Trainer Hansi Flick und Verteidiger Jérôme Boateng wundern sich über so manches beim FC Bayern. Vieles deutet auf ein Abschied Flicks im Sommer hin

Quelle: pa/Jens Niering

Das machte der 56-Jährige in einem beinahe fünf Minuten langen Monolog nach dem Ausscheiden deutlich. Wieder so eine besondere Geschichte. Lothar Matthäus wohnte früher neben Flick, beide sind befreundet. Der Sky-Experte fragte Flick nach seiner Zukunft. Und Flick wirkte, als habe er mit Bayern abgeschlossen. Er sprach erstmals in dieser Saisonphase vom Deutschen Fußball-Bund, in dem er als Topkandidat für die Nachfolge Joachim Löws für die Zeit nach der EM im Sommer gilt.

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„Wo geht es hin, wie geht es weiter – da mache ich mir immer Gedanken“, so Flick: „Weil für mich ist ein Erfolg ein stetiger Prozess. Es gibt für mich immer die Situation, alles zu bewerten, sich neuen Herausforderungen stellen oder zu überlegen, wie man es angehen kann. Da habe ich natürlich auch meine Vorstellungen.“

Flick war aufgeräumt, wurde aber auch emotional. Seine Familie würde ihn immer unterstützen, „ob ich jetzt beim DFB wäre und einen anderen Rhythmus hätte, das wäre für sie völlig egal“. Das sei ein gutes Gefühl: „Ich hänge an dem Trainerjob und deshalb kann ich mir nichts anderes vorstellen. Ich bin gewohnt, dass man den Erfolgsdruck hat, beim DFB oder bei Bayern München.“

Rummenigge betonte kürzlich in WELT AM SONNTAG, man solle sich an das vertraglich Vereinbarte halten, das habe er Flick „unmissverständlich“ gesagt. Dass inzwischen nicht nur Spieler, sondern auch Trainer vor Ende des Kontraktes wechseln, haben gerade jedoch die Beispiele Marco Rose von Borussia Mönchengladbach und Adi Hütter von Eintracht Frankfurt gezeigt.

Treffen mit Kahn in dieser Woche

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„Bild“ berichtet, Oliver Kahn werde sich diese Woche mit Flick treffen. Der Vorstand wolle klären, ob der Coach zu gehen gedenke. „Ich habe bis jetzt noch keinen Termin. Ich habe das auch gelesen“, so Flick Dienstag: „Wenn Oliver mit mir sprechen möchte, wird er mir das rechtzeitig sagen. Ich habe Zeit. Wenn er Lust hat, mit mir zu quatschen, kann er das gerne tun.“

Samstag (15.30 Uhr, Sky) treten die Bayern in der Liga beim Dritten VfL Wolfsburg an. Im DFB-Pokal schieden sie früh gegen Holstein Kiel aus, und ihr Anspruch ist es, jedes Jahr unter die vier besten Europas zu kommen. Sie können nun maximal die Meisterschaft gewinnen. In der Vorsaison sicherten sie sich unter Flick sechs Trophäen.

Gegen Paris fehlten die Schlüsselspieler Robert Lewandowski und Leon Goretzka. Es gab also sportliche Gründe für das Aus. Doch manches war hausgemacht. Mehr Ruhe in der Vorbereitung auf die beiden Partien hätte nicht geschadet, das machte auch Kapitän Manuel Neuer deutlich.

Der FC Bayern schrieb nach dem Rückspiel auf seiner Web-Seite: „Boateng mit weltmeisterlicher Leistung“. Dem Innenverteidiger hatte die Klubführung vor dem Hinspiel mitgeteilt, sein Vertrag werde nicht verlängert. Flick hätte Boateng gern gehalten.

Der Klub muss sich in den kommenden Wochen mit Fragen beschäftigen, die wegweisend für seine Zukunft sind. Die nach dem künftigen Trainer ist nur eine. Der Umbruch in der Führung, der Präsidentenwechsel von Uli Hoeneß auf Herbert Hainer und die anstehende Machtübergabe von Rummenigge an Kahn, hat viel in der Statik des Klubs verändert. Manches wackelt.

In dieser Konstellation muss der Meister nun eine der wichtigsten Entscheidungen der vergangenen Jahre treffen: Wer wird im Falle des Flick-Abganges neuer Trainer? Vieles spricht für Julian Nagelsmann. Matthäus, früher Trainer bei RB Salzburg und bestens vernetzt, sagte: „Bayern München hat sich mit Nagelsmann schon ein bisschen unterhalten, auch über wirtschaftliche Dinge, so viel man weiß.“

Schätzen sich sehr: Julian Nagelsmann (r.) und Hansi Flick. Nagelsmann wird als Nachfolger des Erfolgstrainers beim FC Bayern gehandelt

Quelle: AFP/ANNEGRET HILSE

Matthäus sagte zudem zu einem Angebot als Nationaltrainer: „Das Angebot vom DFB gibt es. Es kann mir keiner sagen, dass da noch nicht gesprochen worden ist. Da kennt man sich zu gut. Hansi Flick steht beim DFB ganz oben auf der Liste, und dann kommt lange nichts.“

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Der 33-jährige Nagelsmann von RB Leipzig hat in den vergangenen Jahren bewiesen, welche außergewöhnlichen Fähigkeiten er als Coach hat. Und Erfahrungen in der Champions League gesammelt. Er dementierte Mittwoch auf einer Pressekonferenz jedoch, Kontakte zu den Bayern zu hegen: „Es gab und gibt keine Gespräche.“

Auch seine Berater hätten nicht mit dem Rekordmeister gesprochen. Eins hatte Nagelsmann allerdings gesagt: „Der FC Bayern würde mich vielleicht noch ein bisschen glücklicher machen.“

In Boateng, David Alaba und Javi Martínez verlassen im Sommer drei Spieler den Klub. Die Pandemie trifft auch die solide wirtschaftenden Bayern, Hainer sprach zuletzt von 150 Millionen Euro Umsatzeinbußen. Es gilt, in Sachen Mannschaft und Trainer etwas Neues aufzubauen.

Die Bayern beginnen in diesen Wochen eine neue, große Reise. Die Route ist in vielen Teilen noch offen. Nur das Ziel ist klar: Erfolg. Mehr als Viertelfinale. Weniger Theater.