Wenn es bei europäischen Verhandlungen schwierig wird, gibt es eine beliebte Taktik: Nahrungsentzug, bis ein Kompromiss steht. Am Donnerstag stellte die tschechische Ratspräsidentschaft die gegenteilige Drohung in den Raum: Es könne auch noch ein Abendessen geben, hieß es am Mittag. Mit aller Macht, notfalls der des Sitzfleisches, wollte Innenminister Vit Rakušan durchdrücken, was er zur obersten Priorität seines Vorsitzes bei den Innenministern erklärt hatte.

Thomas Gutschker

Politischer Korrespondent für die Europäische Union, die Nato und die Benelux-Länder mit Sitz in Brüssel.

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Stephan Löwenstein

Politischer Korrespondent mit Sitz in Wien.

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Der Schengen-Raum sollte um drei Länder wachsen, Kroatien, Bulgarien und Rumänien. Das gelang ihm nicht. Nach einer fünf Stunden langen, teilweise hitzigen Debatte konnte Rakušan lediglich ein neues Mitglied im 26 Staaten großen Reich der Personenfreizügigkeit begrüßen – Kroatien.

Neben ihm stand Ylva Johansson, und die EU-Innenkommissarin bemühte sich nicht einmal gute Miene zum aus ihrer Sicht bösen Spiel zu machen. „Es ist ein Tag der Enttäuschung“, sagte die Schwedin. „Im Moment sind wir nicht vereint, das macht uns sehr schwach.“ Johansson gratulierte den Kroaten und wandte sich dann direkt an die Bürger der beiden Staaten, die weiter darauf warten müssen, ohne Kontrollen in den Rest der Europäischen Union einzureisen: „Sie verdienen es, Vollmitglieder von Schengen zu sein.“ Man konnte in diesem Augenblick förmlich hören, wie viel Porzellan an diesem Tag in Brüssel zerschlagen worden war.

Veto der Niederlande und Österreichs

Johansson und Rakušan versuchten die Schuld daran bei den Ländern abzuladen, die ihr Veto gegen Bulgarien und Rumänien eingelegt hatten: Österreich und die Niederlande. Die hatten allerdings mit offenen Karten gespielt, während insbesondere Johansson falsche Erwartungen weckte. Schon beim Treffen der Staats- und Regierungschefs am Dienstag in Tirana sagte Mark Rutte, dass Den Haag von der Beitrittsreife Bulgariens noch nicht überzeugt sei. Auch der österreichische Kanzler Karl Nehammer bekräftigte dort seine Opposition, gegen beide Länder. Bei einem Treffen der EU-Botschafter mit Probeabstimmung lief es am Mittwoch genauso.

Als der österreichische Innenminister am Donnerstagmorgen im Ratsgebäude eintraf, ließ auch er keinen Zweifel aufkommen. „Ich werde heute gegen die Schengen-Erweiterung um Rumänien und Bulgarien stimmen“, sagte Gerhard Karner. „Es ist falsch, dass ein System, das an vielen Stellen nicht funktioniert, an dieser Stelle auch noch vergrößert wird.“ Damit meinte der ÖVP-Politiker die mangelnde Registrierung von Migranten an den Außengrenzen und die vielen Grenzkontrollen, die es nun doch wieder im eigentlich kontrollfreien Schengen-Raum gibt. Von 100.000 Migranten, die in diesem Jahr Österreich erreicht hätten, seien 75.000 nicht registriert worden, sagte Karner – „obwohl wir ein Binnenland sind, inmitten von Schengen-Ländern“. Konkret bedeutet das, dass Österreich die Migranten nicht in das Land zurück schieben kann, wo sie zuerst ankamen und hätten registriert werden müssen.

Dass es hier beträchtliche Defizite gibt, wollten auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nicht bestreiten. Johansson sprach gar von einem „großen Problem, dass wir Schengen-Mitgliedstaaten haben, die nicht jeden ordnungsgemäß registrieren“. Umstritten war dagegen, ob dafür Rumänien und Bulgarien verantwortlich gemacht werden können. Nach Wiener Darstellung kamen fast alle Migranten in diesem Jahr über die ungarische Grenze nach Österreich, also über den Balkan, nicht aus Italien. Vierzig Prozent davon nutzen die Chance, visumfrei nach Belgrad zu fliegen, wo sie sich in die Hände von Schleppern begaben. Fast fünfzig Prozent kamen dagegen aus der Türkei nach Bulgarien – und hätten dort registriert werden müssen. Danach zogen sie weiter, der größere Teil über Serbien nach Ungarn, der Rest über Rumänien nach Ungarn, wo es keinen Grenzzaun gibt.