Die Ausstellung der Galerie Eigen+Art in Leipzig war lange im Voraus geplant. Einmal musste der Eröffnungstermin verschoben werden, wegen Corona. Dann aber stand das Datum fest und auch der Tag, an dem Lada Nakonechna von Kiew nach Deutschland reisen würde. Der 24. Februar. Sie würden, so der Plan, mit dem Auto fahren, Lada und ihr Mann, der auch Künstler ist und der beim Aufbau ihrer Ausstellungen fast immer hilft. Das Kind würden sie mitnehmen. Es ist zwei Jahre alt. Dann kam der 24. Februar.

„Am Morgen rief mich meine Cousine an: Wach auf! Charkiw und Odessa werden bombardiert“, erzählt Nakonechna auf Englisch. Alles musste schnell gehen. Die restlichen Sachen packen. Wohnungstür abschließen. Ins Auto. Los. „Wir brauchten fünf Stunden, bis wir aus Kiew heraus waren.“ Es gab Panik auf den Straßen. Überall Stau. Tanken konnte man nicht mehr. Vor den EC-Automaten bildeten sich lange Schlangen. Währenddessen wurde der Kriegszustand ausgerufen. Die Familie hörte es im Radio. Für ihren Mann würde die Reise an der Grenze enden, Männer durften die Ukraine nicht mehr verlassen. Die Fahrt bis zur polnischen Grenze dauerte fast einen Tag. Um fünf Uhr morgens kamen sie an.

Schutt und Asche

Während Lada erzählt, scheint die Sonne durch die großen Scheiben der Galerie. Es gibt Mittagessen für die Galerie-Mitarbeiter und für uns. Das Aufnahmegerät läuft. Auf dem Band wird die Soundkulisse zu Nakonechnas Bericht Tellerklappern und Vogelzwitschern sein.

Die Künstlerin kennt Deutschland gut. Fünfmal hat sie bereits bei Eigen+Art ausgestellt, mal in den Berliner Räumen in der Auguststraße, mal in Leipzig auf dem berühmten Areal der ehemaligen Baumwollspinnerei. Wer in Leipzig studiert, kennt auch Lada Nakonechna. In der Universitätsbibliothek hängt seit 2009 eine ihrer monumentalen Wandarbeiten. Drei Monate lang zeichnete die Künstlerin auf riesigen Papierbögen Landschaften, große Wiesen und Häuserblöcke darauf, als gäbe es keine Wände und als ob die Buchregale einfach im Freien stünden. Die Künstlerin legte Wert darauf, dass die Zeichnungen nicht verglast werden, trotz der Nachteile, die das mit sich bringt. Jeder kann die Arbeiten anfassen, die Striche verschmieren, und das Papier wird dünn. Aber die Wirkung der Bilder ist ohne Glas besser. Zerstörung, so Nakonechna, sei dann eben der Lauf der Dinge.

Noch stehen in der Leipziger Galerie viele Werke auf dem Boden. Der Aufbau ist in Gang, die Bilder müssen noch gehängt werden. Ob sie etwas verändert habe an der Ausstellung, mit Blick auf den Krieg? „Nein, gar nichts“, antwortet Nakonechna, und wie zur Erklärung läuft sie mit einem zu einer Gruppe von Arbeiten, die wie abstrakte Collagen aussehen. Dunkle Linien bilden geometrische Formen auf weißem Grund. Wer näher herantritt, erkennt, dass es sich um Aufnahmen von rußigem Metall handelt. Es sind die verkohlten Architekturteile, die schwarz in die Luft ragen, nachdem ein Gebäude in Schutt und Asche gelegt worden ist. In den Nachrichten sehen wir sie täglich. Aber es gibt sie nicht erst jetzt. „Seit acht Jahren wird gegen die Ukraine Krieg geführt“, sagt Nakonechna. Die Collagen hat sie 2016 gemacht. Inzwischen interessiert sich auch der Westen für den Krieg.

Die Perspektivenverschiebung ist der Schlüssel zur Ausstellung. Seit mehr als einem Jahrzehnt versucht Nakonechna, geboren 1981, zu erzählen, was mit ihrem Land passiert, mal in Einzelausstellungen, mal zusammen mit ihrem Künstlerkollektiv, das sich Revolutionary Experimental Space (R.E.P.) nennt. Sie hat alle Tonlagen durchprobiert. Analytisch. Ernst. Schockierend. Rätselhaft. Ironisch. Lustig.