Man sollte das Saarland nicht größer, aber auch nicht kleiner machen, als es ist. Das gilt auch für diesen fulminanten Machtwechsel. Dennoch, die erste Landtagswahl nach der Bundestagswahl ist deshalb so besonders, weil eine über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg stabile CDU-Mehrheit in eine absolute SPD-Mehrheit gekippt ist. Alles nur „Saarland“?

Das Phänomen kommt einem bekannt vor. Es war eben jene Bundestagswahl, die einen ähnlichen überraschenden Umschwung brachte. Nicht ganz so dramatisch wie im Saarland, aber genauso „sensationell“, wie ihn SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert treffend beschrieb. Die absolute Mehrheit für Anke Rehlingers Partei ist nur die saarländische Würzung ihres Wahlsiegs. Der fiel so deutlich aus, weil es keine Oppositionspartei gab, die Stimmen aus der Großen Koalition im großen Stil absaugte. Der Absturz der CDU zahlte direkt auf das Konto der SPD ein. Wie im Bund.

Die Bundestagswahl spielte aber auch eine unmittelbare Rolle. Der Einbruch der CDU in den Umfragen geschah gleichzeitig mit dem Bundestagswahlkampf, nicht erst im saarländischen Wahlkampf. Mit Ministerpräsident Hans hatte das nicht so viel zu tun. Ähnliche Umfragetiefs haben andere Landesverbände auch erlebt, nur konnten sie sich wieder erholen. Im Saarland war das anders. Wie im Bund waren Wechselwähler auf die „Vize“, auf Anke Rehlinger fixiert, während Hans vergeblich auf den Kramp-Karrenbauer-Bonus hoffte.

Rehlinger kopierte die Scholz-Masche

Die Saar-SPD ahmte zudem die Scholz-Masche aus dem Bundestagswahlkampf nach, die eigentlich eine Merkel-Masche ist und Rehlingers Volksnähe unterstrich: „Sie kennen mich.“ Die Wähler wogen ab und befanden Tobias Hans zu leicht. Wichtig war die Ausstrahlung, war der Habitus. Entscheidend aber war, wer damit auch noch Kompetenz vermitteln konnte. Auch da kopierte Rehlinger die Bundespartei. Sie setzte auf die Sozialpolitik.

Das ist eine Parallele zur Bundestagswahl, die sich für die Union nicht so leicht abhaken lässt. Olaf Scholz gelang es damit gerade so eben, die CDU/CSU zu schlagen. Anke Rehlinger hingegen deklassierte die CDU auf eine Weise, die Hoffnung keimen lässt, Ergebnisse jenseits der vierzig Prozent seien, allen Unkenrufen über den Niedergang der Volksparteien zum Trotz, durchaus realistisch.

Der Haken bei der Sache ist, dass die SPD wohl durch den Bundestrend wieder beflügelt wird. Aber sie ist immer noch ganz die Alte. Nicht die Parteien machen den Erdrutsch, sondern Personen mit Profil, obwohl oder gerade weil sie schon länger bekannt sind.

Der CDU fehlt die klare Botschaft

Für die Union war deshalb schon die Bundestagswahl ein Menetekel. Sie konnte nicht mehr vermitteln, weshalb sie gewählt werden sollte. Auch im Saarland fehlte die klare Botschaft jenseits der Person des Amtsinhabers, der wieder einmal für alles und nichts stand. Das Erfolgsrezept der Union, die Kombination aus Vordenkern und einem Personal, dem das politische Handwerk jenseits von Ideologien zugetraut wird, scheitert an der Wirklichkeit: Es gibt diese Vordenker nicht mehr, und dem Personal wird nicht mehr zugetraut als der Konkurrenz, sondern weniger.

Will man das Saarland kleinreden, wird trotzdem ein Schuh daraus: Wenn schon auf kommunaler Ebene die Misere sich auf so krasse Weise niederschlägt, wie soll sich die CDU/CSU je davon erholen? Sie hatte in der Wirtschafts-, in der Sicherheits-, in der Bildungs-, in der Familien-, in der Europa- und auch in der Sozialpolitik einmal eine doppelte Stärke: Leute, die dafür standen, und Leute, die dazu etwas Intelligentes zu sagen hatten.

Symptomatisch ist der zweifelhafte Versuch, stattdessen den festen Grund, auf dem die Partei steht, das C, zu nutzen, um ins Gespräch zu kommen – vornehmlich mit sich selbst. Das ist ähnlich sektiererisch wie die Selbsttherapie der SPD. Wahlen lassen sich damit nicht gewinnen.

Die SPD hat es da, man soll es nach Jahren der Selbstzerfleischung und des Niedergangs nicht glauben, leichter. Sie hat den Sozialstaat und damit eine Mission, die nicht ans Ende ihrer Geschichte gekommen ist.

Wie schnell die programmatischen Selbstzweifel der Partei in übertriebene Selbstsicherheit ihres weltpolitisch getriebenen Kanzlers umschwenken kann, ließ sich schon an Gerhard Schröder und lässt sich nun auch an Olaf Scholz studieren. An einem Wahlabend im Fernsehen eine Solo-Talkshow zu füllen und nur en passant auf das Wahlergebnis einzugehen, das hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben und hat nicht unbedingt nur mit der kriegsbedingten Zeitenwende zu tun.

Friedrich Merz und die Union antworten darauf mit der Bemerkung, im Bund sehe doch alles ganz anders aus. Wirklich? Wenn es das Ziel der neuen CDU-Führung ist, die Partei nach Merkel zu neuen Ufern zu führen, steht spätestens nach dieser Wahl fest: Viel Platz neben Olaf Scholz ist da nicht mehr.