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Seit einem Tag ist bekannt, wie sich die Bundesregierung eine einheitliche Corona-Notbremse für Deutschland vorstellt. Die geplante Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes wird von verschiedenen Seiten kritisiert. Nach Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller plädierte auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (beide SPD) für Nachbesserungen. Es gebe „Fragen bezüglich der Rechtsfolgen und auch der Verhältnismäßigkeit“, sagte Dreyer den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Die FDP-Fraktion im Bundestag prognostiziert eine Klagewelle beim Bundesverfassungsgericht. „Wir werden erleben, wie eine Flut von Verfassungsbeschwerden über Karlsruhe hereinbrechen wird“, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Marco Buschmann. Diese hätten „ganz beachtliche Erfolgaussichten“. Zugleich kündigte Buschmann an, die FDP werde geschlossen dagegen stimmen, „wenn das Gesetz sich nicht substanziell ändert“.

Lesen Sie hier den Kabinettsbeschluss in voller Länge

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Am Dienstag hatte die Bundesregierung die umstrittenen Regelungen auf den Weg gebracht. Der Entwurf für das neue Infektionsschutzgesetz sieht erstmals eine bundeseinheitliche Notbremse vor. Diese soll automatisch gelten, wenn in einer Region an drei aufeinanderfolgenden Tagen der Inzidenzwert von Neuinfektionen bei 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen über 100 liegt.

Was ist im Detail vorgesehen? Und wie unterscheiden sich die geplanten Regelungen von den aktuellen? Ein Überblick.

Quelle: Infografik WELT/Michael Kunter

Folgende Regeln sieht die Notbremse für Regionen über einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 vor:

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Kontaktbeschränkungen: Private Zusammenkünfte im öffentlichen oder privaten Raum sind nach der Neuregelung zu allen Zeiten nur gestattet, wenn an ihnen höchstens die Angehörigen eines Haushalts und ein weiterer Mensch einschließlich der zu ihrem Haushalt gehörenden Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres teilnehmen – bislang sind zwei Haushalte mit maximal fünf Personen erlaubt.

Ausgangsbeschränkungen: Die nächtliche Ausgangssperre soll für die Zeit zwischen 21 und 5 Uhr gelten. Es gibt nur wenige Ausnahmen, etwa für die Berufsausübung und die „Abwendung einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum“, insbesondere Besuche beim Arzt oder dem Tierarzt in Notfällen. Auch die „Wahrnehmung des Sorge- oder Umgangsrechts und die unaufschiebbare Betreuung unterstützungsbedürftiger Personen“ zählen dazu.

Schulen: Schüler und Lehrer müssen sich für die Teilnahme am Präsenzunterricht zweimal pro Woche testen lassen. Bei einem Inzidenzwert von über 200 gibt es keinen Präsenzunterricht mehr. Eine Notbetreuung ist jedoch möglich. Bislang entscheiden die Länder, ob das Testen in den Schulen verpflichtend ist. Eine bundeseinheitliche Regelung im Umgang mit Schulschließungen gibt es nicht.

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Einzelhandel: Öffnen dürfen im Zuge der Notbremse nur noch Geschäfte des Lebensmittelhandels, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Stellen des Zeitungsverkaufs, Buchhandlungen, Blumenfachgeschäfte, Tierbedarfsmärkte, Futtermittelmärkte und Gartenmärkte.

Dabei müssen strenge Auflagen eingehalten werden. Für die ersten 800 Quadratmeter Verkaufsfläche ist die Anzahl der Kunden auf eine Person pro 20 Quadratmeter zu begrenzen. Oberhalb dieser Verkaufsfläche müssen pro Person 40 Quadratmeter zur Verfügung stehen. Ähnliche, aber weniger strenge Begrenzungen gelten schon jetzt.

Sport: Der Gesetzentwurf sieht vor, dass ab einem Inzidenzwert von mehr als 100 nur Individualsport zulässig ist – allein, zu zweit oder mit Personen aus dem eigenen Haushalt. Aktuell sind die Sportmöglichkeiten nicht nur von der Höhe der Inzidenzzahlen abhängig, sondern im Rahmen eines Stufenplans auch davon, seit wann sich die Inzidenz in einer Region in einem bestimmten Bereich bewegt.

Körpernahe Dienstleistungen: Körpernahe Dienstleistungen sind untersagt – es sei denn, sie dienen medizinischen, therapeutischen, pflegerischen oder seelsorgerischen Zwecken. Möglich ist also zum Beispiel medizinische Fußpflege oder Physiotherapie. Außerdem dürfen Friseursalons geöffnet bleiben. Kunden und Patienten müssen eine FFP2-Maske oder eine vergleichbare Maske tragen. Wer zum Friseur geht, muss zudem einen negativen Corona-Test vorweisen, der maximal 24 Stunden alt ist.

Außengastronomie: Die Außengastronomie soll nach dem Willen der Bundesregierung ab einer Inzidenz von 100 geschlossen werden. Weiterhin möglich sein soll die Mitnahme und Lieferung von Gerichten. Zurzeit dürfen Gastronomen ihren Außenbereich öffnen, wenn die Inzidenz unter 50 oder seit 14 Tagen stabil unter 100 liegt. In letzterem Fall sind Terminbuchungen und teilweise ein negativer Corona-Test nötig.

Kritik an dem Gesetzentwurf kam aus der Opposition und den Ländern, auch die SPD sieht Verbesserungsbedarf. In der Koalition gebe es noch Gespräche über das Gesetz,sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Carsten Schneider. Es gehe darum, „bestimmte Punkte im Gesetz noch gängiger zu machen“, sagte Schneider. Unter anderem solle individueller Außensport auch während einer nächtlichen Ausgangssperre erlaubt werden.

Der Entwurf soll am Freitag erstmals im Bundestag beraten werden, und dort ebenso wie im Bundesrat kommende Woche beschlossen werden. Die Bundesregierung stuft es aber als nicht zustimmungspflichtig in der Länderkammer ein. Somit müsste der Bundesrat einen Einspruch beschließen, um das Gesetz aufzuhalten.