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Der Streit über das Urteil von zwei Amtsgerichten zu den Corona-Verordnungen an Schulen geht weiter. Sowohl in Weimar als auch im bayerischen Weilsheim hatten Familienrichter entschieden, dass Lehrer und Schulen ein Kind nicht verpflichten dürfen, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, einen Mindestabstand einzuhalten oder sich auf das Coronavirus testen zu lassen.

Zunächst hatte ein Familienrichter in Weimar vergangene Woche diese Anordnung im Eilverfahren gefällt. Aus Sicht von Juristen ist dies aber nicht haltbar, da das Familiengericht nicht für Corona-Hygienemaßnahmen zuständig sei: „Ein Familiengericht darf keine Maßnahmen aufheben, die auf das Infektionsschutzgesetz gestützt sind“, sagte der Augsburger Verfassungsrechtler Josef Franz Lindner im Gespräch mit WELT zu dem Vorgehen in Weimar.

Dort hatte sich eine Mutter von zwei Kindern im Alter von acht und 14 Jahren an das Amtsgericht Weimar gewandt. Der zuständige Richter entschied daraufhin, es sei verboten, den Kindern der entsprechenden Grundschule und der Regelschule Hygienemaßnahmen vorzuschreiben. Dies schade der körperlichen und geistigen Entwicklung der Kinder, ohne dass daraus ein nennenswerter Nutzen entstehe, argumentierte er in seinem Urteil.

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Der Richter stützte sich dabei auf drei Sachverständigengutachten und wog schließlich zwischen den Kindesinteressen und den Maßnahmen ab. Beim Amtsgericht Weimar liegen nach Angaben einer Sprecherin noch weitere Verfahren zum selben Thema vor. Inzwischen gingen bei der Staatsanwaltschaft Erfurt auch mehrere Strafanzeigen gegen den Richter ein, dem Rechtsbeugung vorgeworfen wird.

Welches Gericht ist zuständig?

Aus Sicht des Verfassungsrechtlers Lindner ist der juristische Weg über das Familiengericht unzulässig.

Der Amtsrichter sei nicht befugt gewesen, über diesen Fall zu entscheiden, sagte er. Wer Corona-Schutzmaßnahmen wie Masken- oder Testpflicht aushebeln wolle, müsse sich an das Verwaltungsgericht wenden. Dies allein könne dann auch über eine mögliche Kindeswohlgefährdung entscheiden, das Familiengericht dürfe ausschließlich familienrechtliche Verfahren behandeln.

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Anders sieht dies das „Netzwerk Kritischer Richter und Staatsanwälte“, ein Verband von Juristen, die sich anlässlich der Corona-Krise zusammengeschlossen haben. Es handele sich bei dem Weimarer Fall um ein Kinderschutzverfahren nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Dies biete Familiengerichten die Möglichkeit, Maßnahmen gegen Dritte anzuwenden. Und zwar dann, wenn das Kindeswohl durch sie gefährdet sei – gemeint sind damit auch Lehrer, Schulleitungen oder Behörden, argumentierten die Juristen. Es werde sich zeigen, dass es keine Rechtsmittel gegen diese Entscheidung gebe, sagte Sprecher Oliver Nölken.

Denn das Bildungsministerium will gegen die Anordnung vorgehen. Man sei dabei, die Beschwerde beim Oberlandesgericht Jena vorzulegen, hieß es aus dem Ministerium. Dieses soll dann auch darüber entscheiden, welches Gericht nun für diese Themen zuständig ist.

Derweil befreite am Dienstag auch ein Familiengericht im oberbayerischen Weilheim ein Kind von der Maskenpflicht in seiner Schule. Die Eltern hatten dagegen geklagt. Die Familienrichterin entschied, dass das Kindeswohl durch den Mund-Nasen-Schutz gefährdet sei, und auch, dass das Kind an der Realschule nun wegen des Urteils nicht in der Klasse isoliert werden dürfe. Das Urteil liegt WELT vor.

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Das Kind hatte in der persönlichen Anhörung erklärt, deren Protokoll WELT ebenfalls vorliegt, es leide unter Kopfschmerzen und Übelkeit, wenn es die Maske über einen längeren Zeitraum tragen müsse. Ihm sei mehrmals schwarz vor Augen geworden. Von Oktober bis kurz vor Ostern war es durch ein Attest vom Mund-Nasen-Schutz befreit worden, ein neues Schreiben habe die Schulleitung nicht anerkannt.

Die gesundheitlichen Folgen der Maske seien „massive, nicht hinnehmbare körperliche Beeinträchtigungen des Kindes“, heißt es in der Begründung. Diese sind zur Überzeugung des Gerichts auch nicht auf andere Ursachen zurückzuführen, insbesondere nicht, wie vielleicht vermutetet werden könnte, darauf, dass die Eltern des Kindes diesem die Beschwerden eingeredet hätten. Nicht ohne Grund hatte das Kind ein Attest vorgelegt.

Die Richterin befand die Anordnung der Bayerischen Infektionsschutzverordnung einer Maskenpflicht für verfassungswidrig. Der Zweck des Mund-Nasen-Schutzes sei nicht erwiesen, auch sei die Verpflichtung unverhältnismäßig im Vergleich der damit verbundenen Schädigung von Kindern.

Die Entscheidung gelte allerdings nur für diesen Einzelfall, sagte eine Sprecherin des Gerichts. Grundsätzlich wird durch die Gerichtsentscheidung aber nicht die entsprechende Verordnung gekippt.

Kinderschützer und Elternverbände halten Tests für vertretbar

Der Deutsche Kinderschutzbund wollte sich nicht konkret zu den Urteilen äußern. Grundsätzlich begrüße man die Bemühungen der Länder, Schulen so lange wie möglich offen zu halten, worauf gerade Kinder im Grundschulalter angewiesen seien, sagte eine Sprecherin gegenüber WELT. „Testpflichten für Lehrer sowie für Schüler halten wir deshalb für vertretbar.“

Der Landeselternverband Thüringen sieht das Urteil in Weimar kritisch. „Wenn die Alternative ist, dass wir die Kinder nicht zur Schule schicken, dann halten wir solche Maßnahmen für besser“, sagte Sprecherin Claudia Koch. Problematisch empfinde der Verband allerdings die politische Kommunikation. Die Eltern seien von der neuen Maskenpflicht überrumpelt worden. Auch könnten viele Eltern schwer nachvollziehen, warum beispielsweise die Kinder nicht mehr zu Ausflügen und Klassenfahrten reisen können, aber „Querdenker“ als Gruppe in Bussen zu Demos führen.

Nach dem neuesten Beschluss des Kabinetts soll an Schulen in ganz Deutschland demnächst Präsenzunterricht nur noch mit zwei Corona-Tests pro Woche gestattet werden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Betrieb wieder vollständig startet, Wechselmodelle sind weiterhin vorgesehen. Wenn in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinanderfolgenden Tagen die Sieben-Tage-Inzidenz bei über 200 liegt, soll Präsenzunterricht dann ganz untersagt werden.