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Ameisen gehören zu den am weitesten verbreiteten Tieren der Welt, auf allen Kontinenten sind sie zu finden, 13.000 Arten wurden bislang entdeckt. Dennoch überraschen sie die Wissenschaft immer wieder. Menschen sind von Ameisen fasziniert – vor allem vermutlich deshalb, weil ihr Leben unserem auf den ersten Blick so sehr gleicht.

Da liegt es nahe, die Verhaltensweisen der Tiere mit Begriffen zu umschreiben, die sonst für Menschen reserviert sind: Ameisen bilden riesige Staaten, in denen jedes Tier seine Aufgabe hat, entweder Arbeiterin ist oder Königin oder Männchen, also nur für die Fortpflanzung da.

Einzelne Völker spezialisieren sich auf Tätigkeiten wie Jagd, „Viehzucht“ (von Blattläusen oder Raupen) oder gar Ackerbau, wie ihn etwa Ameisen auf den Fidschi-Inseln betreiben: Sie pflanzen Samen von Kaffeegewächsen in Baumrinde, düngen die jungen Pflanzen und ernten schließlich den Nektar, fand die Münchner Biologin Susanne Renner 2016 heraus.

Es gibt auch Sanitäter-Ameisen

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Wissenschaftler der Universität Würzburg haben noch eine weitere verblüffende Verhaltensweise von Ameisen entdeckt, die sich am besten als Beruf umschreiben lässt: Bei ihnen gibt es nämlich auch Sanitäter. Afrikanische Matabele-Ameisen retten Artgenossen, die im Kampf verwundet wurden, und pflegen sie gesund. Eine Verhaltensweise, die für diese südlich der Sahara verbreiteten Ameisen offenbar überlebenswichtig ist.

Die Matabele-Ameisen sind Raubtiere, die sich täglich in Kämpfe auf Leben und Tod begeben. Zwei- bis viermal am Tag starten sie einen Raubzug, überfallen Termiten an deren Futterstellen, töten und verschleppen sie. Zurückgekehrt ins Nest, fressen sie sie auf.

Dabei gibt es nicht nur unter den Termiten viele Opfer. Auch Ameisen werden verletzt, wenn sich die Termiten wehren. Zum Beispiel beißen die Termiten ihnen im Todeskampf die Beine ab. Wenn eine Ameise verletzt wird, sondert sie Signalstoffe ab, die die Artgenossen alarmieren. So beschreiben es die Würzburger Forscher Erik T. Frank, Marten Wehrhahn und Karl Eduard Linsenmair im Fachjournal „Proceedings B“ der britischen Royal Society.

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Sobald dieser Notruf abgesetzt ist, eilen Sanitäterameisen zu Hilfe. Sie schleppen die Verletzten zurück ins Nest und behandeln dort ihre offenen Wunden, indem sie sie intensiv lecken. „Wir vermuten, dass sie auf diese Weise die Wunde säubern und mit dem Speichel eventuell sogar antimikrobielle Substanzen auftragen, um die Gefahr von Infektionen mit Pilzen oder Bakterien zu verringern“, erklärt Biologe Frank. Offenbar sind die Sanitäter dabei sehr erfolgreich. Nur zehn Prozent der so behandelten Ameisen sterben – unbehandelt sind es 80 Prozent.

Die Erkenntnisse fügen der Diskussion über Ameisensuperstaaten eine weitere Facette hinzu und zeigen, dass wie meist in der Forschung alles komplizierter ist als gedacht. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Biologen davon überzeugt, dass ein Ameisenstaat ein reiner „Superorganismus“ ist, in dem alle Arbeiterinnen sich für Volk und Königin aufopfern – ganz im Einklang mit der damals herrschenden politischen Ideologie bei uns Menschen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich die Sichtweise. Um den Altruismus der Tiere zu erklären, entstanden zwei konkurrierende Modelle, das der Gruppen- und das der Verwandtenselektion. Heute glauben die meisten Forscher, dass all diese Aspekte eine Rolle spielen. Demnach hat eine Gruppe bessere Überlebenschancen, wenn die einzelnen Tiere zusammenarbeiten. Die Veranlagung zur Zusammenarbeit verbreitet sich außerdem durch Vererbung – bei den Ameisen sind die Arbeiterinnen eines Staates zu 75 Prozent miteinander verwandt. Überhaupt ist die Opferbereitschaft der Ameise nicht ganz so ausgeprägt wie zunächst gedacht. Auch untereinander streiten sich die Tiere durchaus mal aus egoistischen Motiven.

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Ganz so ähnlich sind sie dem Menschen trotzdem nicht. Das zeigen auch die Erkenntnisse der Würzburger Wissenschaftler. Wenn eine Matabele-Ameise nämlich merkt, dass sie zu schwer verletzt ist, wehrt sie sich gegen die Sanitäter, zappelt herum und gebärdet sich wild. Dann will sie nicht mehr gerettet werden.

Dieser Artikel wurde erstmals im Februar 2018 veröffentlicht.