Proteste gegen als störend oder riskant wahrgenommene Bauvorhaben beschränken sich nicht auf Windräder: Mit großer Regelmäßigkeit treffen Planungen für neue Bahntrassen, Landebahnen, Kernkraftwerke oder Mülldeponien, aber auch für Kindergärten und Flüchtlingsunterkünfte nachvollziehbarerweise auf den Widerspruch der Anwohner. Nüchtern betrachtet, handelt es sich beim Streit um „locally unwanted land use“ (LULU) zunächst um einen Interessenkonflikt: Die eine Seite profitiert vom geplanten Projekt, während die andere mit den Nebenfolgen konfrontiert ist.

Die Lage wird komplizierter, wenn es um Projekte geht, die nicht nur der Bilanz eines Unternehmens, sondern einem kollektiven Interesse zugutekommen. Vom Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, Energieversorgung und Kinderbetreuung profitieren mehr oder weniger alle – inklusive jener, die dadurch mit Einschränkungen oder Kosten zu leben haben. In diesem Fall erscheint Widerstand zwar nach wie vor nachvollziehbar, aber egoistisch. Offenbar wissen die Gegner eines Projektes die entsprechenden Einrichtungen zu schätzen – aber nicht in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Protest nach dem Motto „not in my backyard“ (NIMBY) ist ebenso verbreitet wie verpönt. Das Etikett ist deshalb dazu geeignet, dem Widerspruch die Legitimität abzusprechen.

Die sozialwissenschaftliche Forschung zu Raumnutzungskonflikten zeigt, dass manche NIMBY-Konflikte sich leicht auflösen lassen, während sie andernorts gar nicht erst entstehen. Manchmal geht es schlicht darum, die Verteilung von Kosten und Gewinnen so zu gestalten, dass es rationale Motive gibt, dem Projekt zuzustimmen. Vom Bau einer Windkraftanlage kann man zum Beispiel profitieren, indem man dafür geeignete Flächen an die Betreiber verpachtet. Die ungleiche Verteilung solcher Anreize führt dann allerdings dazu, dass die Konfliktlinie innerhalb der Anwohner verläuft. Es gibt aber auch Beispiele dafür, dass nicht allein ökonomische, sondern auch ideologische Motive die Akzeptanz von Bauprojekten begründen können: In den USA gibt es Gemeinden, die eine andernorts hochumstrittene Gasextraktion durch „Fracking“ begrüßen, weil es der dominanten politischen Einstellung und insbesondere der Ablehnung eines von außen kommenden Umweltaktivismus entgegenkommt – „please in my backyard“ ist dann Ausdruck einer politischen Gesinnung.

Andere Studien, die beispielsweise am PIK in Potsdam durchgeführt wurden, belegen, dass wirtschaftliche Interessen oft nur eine geringe Rolle spielen. So gaben in einer Umfrage weniger als ein Prozent der Gegner von Windkraftanlagen an, sie würden ihre Einstellung ändern, wenn sie oder ihre Gemeinde an den Erträgen beteiligt würden. Man ist offenbar überzeugt, gute Gründe für die Ablehnung zu haben, und möchte sich nicht „bestechen“ lassen. Das ist insofern folgerichtig, als in politischen Konflikten ungern über Interessen, dafür umso mehr über das Gemeinwohl gesprochen wird. Weil eine NIMBY-Haltung egoistisch erscheint, müssen die Begründungen für den Widerspruch als „not in anyone’s backyard“ generalisiert werden. Es geht in Beteiligungsverfahren und in öffentlichen Debatten deshalb häufiger um Naturschutz und Landschaftspflege als um Grundstückspreise. Nur auf diese Weise kann es Bürgerinitiativen gelingen, auch Außenstehende zu überzeugen und sich über lokale Anliegen hinweg zu vernetzen.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Konflikte um Windkraft, Geothermie und Stromtrassen im Zusammenhang mit der „Energiewende“ in Deutschland zunehmend politisiert werden. Das Allgemeininteresse an der Versorgung mit erneuerbaren Energien trifft nicht nur auf durch direkte Betroffenheit motivierten Widerspruch, sondern zunehmend auch auf eine politische Konfliktlinie, die mit populistischen Argumenten unterfüttert wird: Die wissenschaftliche Begründung der Klimapolitik wird in Zweifel gezogen; stattdessen werden die Befürworter und Betreiber von Energieanlagen als von außen kommende Profiteure dargestellt – und der Protest kann dann als Kampf gegen eine politische Elite inszeniert werden. Diese Rahmung des Konflikts macht sich zunutze, dass die Infrastruktur der Energiewende überwiegend im ländlichen Raum angesiedelt ist, während die Entscheidungen darüber in den urbanen Zen­tren fallen. Wer das Gefühl hat, dass andere von den eigenen Einbußen profitieren, stellt dafür nur ungern seinen Hinterhof zur Verfügung.