Lupo hat lange Wimpern, schwarze Augen und einen wuscheligen Vokuhila. Mit seinem Kopf geht er mir bis zu den Schultern. Er röhrt wie Chewbacca, der fusselige Wookiee aus „Star Wars“, nur sanfter. Lupo ist ein drei Jahre altes Alpaka und lebt auf einem Hof im hessischen Reichelsheim. Seine Vorfahren stammen aus den Anden, deshalb verbringt er seine Zeit gern mit langen Spaziergängen im Odenwald.

Anna Schiller

Volontärin.

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Es ist ein wolkenloser Morgen. Die Sonne, die über den Wald hinunter auf die Weide scheint, hat noch nicht richtig Kraft. Lupo und die anderen Alpakas rupfen seelenruhig Gras und schmatzen. Uwe Keil öffnet das Tor zur Weide, und ein Dutzend Menschen nähern sich zögerlich den Tieren. Manche Alpakas rennen neugierig auf uns zu, andere recken ihre langen Hälse und betrachten die Eindringlinge aus einigen Metern Entfernung.

Mit ihrem flauschigen Fell, den langen Hälsen, ihren witzigen Frisuren und den großen Knopfaugen sehen sie wie Kuscheltiere aus. Dass sie so fotogen sind, hat ihnen zu Ruhm in den sozialen Medien verholfen. Ihr ausdrucksvolles Gesicht und der leichte Überbiss lassen sich schön zu Memes verarbeiten. Auf Instagram finden sich unter gängigen Hashtags wie #alpa­casofinstagram Millionen von Beiträgen.

Deshalb haben sie auch offline immer mehr Erfolg. Seit 2019 bietet Familie Keil Wanderungen mit Alpakas an, weil immer mehr Anfragen kamen. Mittlerweile bieten sie bis zu drei Touren am Wochenende an, dazu Junggesellen­abschiede, Besuche von Schulklassen, Geburtstage und Betriebsausflüge. Online preisen Wanderer die Tiere für ihr entspanntes Wesen. Mit ihnen soll man abschalten können. Einige Yogalehrer verlegen ihre Einheiten gar auf Alpaka-Weiden. „Sei immer du selbst, außer du kannst ein Alpaka sein. Dann sei ein Alpaka“, kommentiert eine Instagram-Nutzerin ihre Erfahrung. Lässt sich wirklich von Alpakas Entschleunigung lernen?

Lukas, der Sohn von Uwe Keil, legt neun Tieren das Geschirr um den Kopf. Und die Zweibeiner bekommen einen Crashkurs im Alpaka-Gassigehen. Aber wie soll man sich das alles merken, wenn die Herde aufgeregt umherläuft? Eine Frage nimmt Uwe Keil vorweg, da sie immer gestellt wird: Spucken Alpakas? Antwort: Ja. So klären sie Konflikte untereinander. Fühlt sich ein Tier besonders bedroht oder wird die erste Warnung ignoriert, feuern Alpakas sogar mit ihrem Mageninhalt auf den vermeintlichen Gegner. Für uns Wanderer gibt es jedoch Entwarnung: Alpakas bespucken sich nur gegenseitig – in der Regel.

Worauf sollte man sonst noch achten, will man ein Alpaka für sich gewinnen? Die Leine am Anfang lang lassen, bis sich Tier und Wanderer aufeinander eingespielt haben, rät Uwe Keil. Und neben dem Alpaka laufen, dann hat es seinen potentiellen Fluchtweg – nach vorne – immer im Blick. Das gibt dem Tier Sicherheit.

Berserker-Syndrom

Lupo wiederum gibt mir als Neuling Sicherheit. Er sei von Anfang an ohne Training brav an der Leine gelaufen, sagt Uwe Keil. Während Hundehalter dazu angehalten werden, ihren Vierbeiner möglichst früh zu erziehen, ist es bei Alpakas genau anders. Gewöhnen sich die Tiere zu früh an den Menschen, sind sie alles andere als entspannt. Sie sehen ihn dann als einen von ihnen – und behandelten ihn auch so rüpelhaft wie einen Artgenossen, erklärt Uwe Keil. Diese Fehlprägung wird auch Berserker-Syndrom genannt. Nicht selten müssen Tiere, die daran leiden, eingeschläfert werden. Die Jungtiere mit ihren roten Marken sind für uns Besucher daher tabu. Auch wenn sie noch so süß sind: bitte nicht streicheln, zu ihrem eigenen Schutz.

Lupo ist zuverlässig und zahm, daher soll ich mit ihm die Wandergruppe anführen. Die anderen Alpakas folgen Lupo aus dem Gatter, den Hügel hinunter bis auf den Wanderweg. Schnell schreiten wir voran, schließlich hängt die ganze Gruppe von unserem Tempo ab, meine ich zumindest. Doch Lupo entzieht sich jeglichem Leistungs­denken: Nach wenigen Metern spannt die Leine, mein Arm wird immer länger, Lupo bremst uns einfach aus.