Noch immer sind Frauen in Führungspo­sitionen in Unternehmen oder Organisationen in ganz Deutschland unterrepräsentiert. Die ostdeutschen Bundesländer ha­ben beim Frauenanteil auf Spitzenpositionen jedoch die Nase vorn, wie Erhebungen von Statista zeigen. Auf der Suche nach Ursachen liefern die Erkenntnisse der Kölner Arbeitsmarktexpertin Barbara Boelmann interessante Einsichten.

Ob West oder Ost: Eine „Gläserne De­cke“ spüren Frauen im Berufsleben häufig – und dies aus vielfältigen Gründen. Weithin gilt eine Auszeit nach der Geburt eines Kindes als Verstärker dieses Phänomens. Noch immer sind Frauen selten, die trotz langer Elternzeit eine steile Karriere ma­chen. Wer schneller ins Berufsleben zu­rückkehrt, so die allgemeine Annahme, hat bessere Chancen im Beruf.

Boelmann und ihre Kolleginnen Anna Raute und Uta Schönberg fanden über eine Auswertung historischer Daten aus der deutschen Wende- und Nachwendezeit ei­nige Indizien dafür, dass diese Befürchtung stimmt. Das Team analysierte Unterschiede in Karriereverläufen von ostdeutschen und westdeutschen Frauen der Jahrgänge 1946 bis 1994, die zwischen 1986 und 2006 ihr erstes Kind bekamen. Für Frauen, die 2003 erstmals Mütter wurden, zeigten sich beispielsweise die ersten Unterschiede schon nach einem Jahr: Vor der Geburt und bis zu einem Jahr danach ist die Wahrscheinlichkeit, dass westdeutsche Mütter erwerbstätig sind, etwa gleich groß wie bei ostdeutschen Müttern. Doch dann öffnet sich die Schere zwischen Ost und West – ein großer Teil der ostdeutschen Mütter kehrt wieder in den Beruf zurück. „Es scheint, als würden viele den Elternzeit­regelungen der ehemaligen DDR entsprechen wollen, obwohl diese gar nicht mehr existieren“, sagt Boelmann.

„Wir konnten große Unterschiede feststellen“

Der Unterschied in Sachen Rückkehr vergrößert sich bis drei Jahre nach der Ge­burt. Dann endet der Kündigungsschutz, und auch ein erheblicher Teil der westdeutschen Mütter kehrt auf den Arbeitsmarkt zurück. Danach nimmt der Ost-West-Unterschied ab. Es zeigt sich jedoch, dass selbst sieben Jahre nach der Geburt des ersten Kindes die Wahrscheinlichkeit, dass ostdeutsche Mütter in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis zurückgekehrt sind, noch immer um fast 13 Prozentpunkte höher ist als bei ihren westdeutschen Kolleginnen.

Eine Ursache sieht Boelmann in den sehr unterschiedlichen Familienbildern der in zwei Systemen sozialisierten Frauen: „Eine Vollzeitstelle gehörte für ostdeutsche Frauen vor der Wende wie selbstverständlich zur Lebensrealität dazu, während in westdeutschen Haushalten eher männliche Alleinverdiener die Regel waren.“ Auch die Medien verfestigten laut Boelmann die un­terschiedlichen Lebensentwürfe im geteilten Deutschland.

Diese Prägung haben die Frauen offenbar sehr tief in sich verankert – denn auch ein Umzug nach Westdeutschland änderte nicht viel an der Tatsache, dass die in der DDR aufgewachsenen Mütter schneller in das Berufsleben zurückkehren. Spannend in der Studie sind die Wechselwirkungen, die sich ergeben, wenn beide Gruppen sich mischen – etwa als Kolleginnen in einem Betrieb. „Selbst wenn ehemalige Ost-Frauen schon sehr lange in Westdeutschland lebten, konnten wir wirklich große Unterschiede feststellen“, sagt Boelmann. So liege die Wahrscheinlichkeit, dass im Westen lebende ostdeutsche Frauen spätestens vier Jahre nach der Geburt des Kindes an den Arbeitsmarkt zurückkehrten, um etwa acht Prozentpunkte hö­her als bei westdeutschen Frauen. „Nur 40 Prozent der West-Frauen arbeiten zu diesem Zeitpunkt überhaupt schon wieder, daher ist der Unterschied wirklich be­trächtlich“, kommentiert Boelmann.

Langlebiger Trend

Besonders überraschend ist jedoch das Verhalten von westdeutschen Frauen in Ostdeutschland: Sie passen sich beinahe vollständig an ihre ostdeutschen Kolleginnen an und kehren genauso früh wie sie an den Arbeitsmarkt zurück. „Mit dieser Un­gleichheit haben wir nicht gerechnet“, sagt Boelmann. Eine Erklärung könnte laut der Forscherin die von den Kolleginnen und Kollegen kommunizierte Erwartungshaltung an die Mütter sein. Möglicherweise würden Mütter in Ostdeutschland einen hö­heren Druck als Mütter in Westdeutschland verspüren, früh in den Beruf zurückzukehren. Allerdings zeigen sich diese Abstrahleffekte selbst bei Rückkehrerinnen: Westdeutsche Frauen, die lange Zeit im Osten gelebt und gearbeitet haben, dann aber wieder in ihre Heimat zurückkehren, verhalten sich laut Studie „noch immer ein bisschen ostdeutsch“, sagt Boelmann. „Das deutet darauf hin, dass es nicht nur Druck ist, den die Frauen empfinden, sondern auch eine gewisse Art von Lernen stattgefunden haben muss“, sagt Boelmann. „West-Frauen lernen beispielsweise von Ost-Frauen, dass sie keine schlechten Mütter sind und es dem Kind nicht schadet, wenn sie früher in die Erwerbstätigkeit zurückkehren.“

Selbst auf westdeutsche Frauen, die noch nie im Osten gearbeitet haben, kann dieser Lerneffekt wirken. Dafür brauche es aber mindestens eine kritische Masse von zehn Prozent ostdeutscher Kol­leginnen und Kollegen im direkten Arbeitsumfeld, haben die Forscherinnen herausgefunden. „Insgesamt können wir hier beobachten, dass kultureller Wandel durch Migration beflügelt werden kann“, so Boelmann.

Die Forscherinnen gehen von einem sehr langlebigen Trend aus: Der Effekt werde noch mindestens über die nächsten vier bis fünf Generationen in Ost und West andauern. Ob ostdeutsche Frauen, ih­re Nachkommen oder jene, die sich „ost­deutsch verhalten“ deswegen erfolgreicher die Karriereleiter erklimmen, hat die Studie nicht untersucht. Es könnte jedoch Anlass für weitere Forschung sein, sagt Boelmann.