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Seitdem die Hausärzte flächendeckend gegen Covid-19 impfen, hat die Impfkampagne in Deutschland deutlich an Tempo gewonnen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV), die die Immunisierung in den Bundesländern organisieren, fordern nun vielerorts einen Kurswechsel: Die Impfzentren sollten Schritt für Schritt schließen – und dadurch den Hausärzten deutlich mehr Impfstoffdosen zur Verfügung gestellt werden.

Aktuell bekommen die Impfzentren in der Regel jeweils 2,25 Millionen Dosen pro Woche vom Bund geliefert. In den Arztpraxen wird hingegen nur die Menge verimpft, die darüber hinaus von den Herstellern geliefert wird. Kommende Woche sind das etwa eine Million Dosen.

Die KV in Baden-Württemberg hat nun vergangene Woche eine bundesweite Online-Petition gestartet, der zufolge die Covid-Impfungen sofort von den Impfzentren auf die Arztpraxen verlagert werden sollen. Bis auf „wenige notwendige“ Einrichtungen sollten die zentralen Impfzentren geschlossen werden, so die Forderung.

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Ziel sei, die Geschwindigkeit beim Impfen deutlich zu erhöhen. Auch sei die Terminvergabe dezentral über die Arztpraxen deutlich einfacher, sagte eine Sprecherin. Patienten mit Vorerkrankungen müssten sich etwa vorab ein ärztliches Attest organisieren, bevor sie ins Impfzentrum kommen können. Das entfiele beim Impfen in der Praxis.

Das Gesundheitsministerium in Baden-Württemberg erteilt einer baldigen Schließung von Impfzentren allerdings eine Absage. „Es sollte jetzt nicht darum gehen, Hausarztpraxen und Impfzentren gegeneinander auszuspielen – wir brauchen beide Angebote, um den Impfstoff schnell an die Impfwilligen zu bekommen“, sagte eine Sprecherin. Wenn im Mai und Juni tatsächlich deutlich mehr Impfstoff über die EU komme, werde man alle Kapazitäten der Impfzentren und niedergelassenen Praxen brauchen.

Machen Hausärzte die Impfzentren schon bald überflüssig?

Quelle: picture alliance/dpa-Zentralbild/ Bodo Schackow; picture alliance/dpa/ Nicolas Armer

Allerdings: „Mittelfristig sollen die Impfungen tatsächlich komplett in den niedergelassenen Praxen durchgeführt werden, denn da gehören sie sinnvollerweise hin.“

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Auch in Berlin machte die KV Schlagzeilen, als Ende März bekannt wurde, dass sie den Vertrag mit dem Senat über die Impfzentren bis zum 30. April gekündigt hatte. Die KV stellt einen Großteil der in den Impfzentren arbeitenden Ärzte. Mit dem weiteren Festhalten an den Einrichtungen werde das flächendeckende Impfen in Arztpraxen „weiter herausgezögert“, hieß es. Ohne Kündigung hätte sich der Vertrag um drei Monate verlängert.

Nach dem Schreiben gab es in der Hauptstadt mächtig Ärger. Medienberichten zufolge schaltete sich sogar der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) persönlich ein. Eine Lösung ist derzeit noch nicht in Sicht. Nach Angaben der KV Berlin habe man der Senatsverwaltung für Gesundheit einen angepassten Vertragsentwurf zukommen lassen – und bisher noch keine Antwort erhalten.

„Sinnvoll, zunächst nur noch Arztpraxen mit Impfstoffen zu versorgen“

Die KVen sind zudem auch Träger eines Forschungsinstituts – des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) –, das noch weitergehende Kritik an den Impfzentren äußert. Die Arztpraxen hätten in der kurzen Zeit, in der sie gegen Corona impfen, mehr als 95 Prozent des gelieferten Impfstoffs verbraucht, argumentiert der Vorstandsvorsitzende Dominik von Stillfried. In den Impfzentren seien es nur 70 Prozent – wobei hier auch Vorräte für Zweitimpfung vorgehalten werden.

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In den Zentren hätten sich bereits mehr als 3,5 Millionen unverimpfte Dosen angesammelt. „Das bremst den Impffortschritt“, kritisiert Stillfried. „Um schnell mehr Menschen impfen zu können, wäre es sinnvoll, zunächst nur noch die Arztpraxen mit Impfstoffen zu versorgen und die Impfzentren erst dann, wenn dort die Lagerbestände unverimpfter Dosen aufgebraucht sind.“

Rund 55.000 Arztpraxen könnten derzeit in Deutschland gegen Corona impfen und gemeinsam etwa eine Million Dosen am Tag verabreichen. „Wenn die Impfzentren weiterhin nicht alle ihnen zugeteilten 2,25 Millionen Dosen verimpfen, sollten sie zugunsten des Impfens in Praxen aufgelöst werden.“

Mit seiner Argumentation stößt er in vielen Bundesländern auf Widerspruch. Der Senat für Gesundheit in Bremen teilt etwa mit, dass die Impfzentren „in Umfang und Geschwindigkeit“ den Hausärzten nicht unterlegen seien. „Wir werden deswegen den Hausärzten und Ärztinnen nicht mehr Impfstoff zukommen lassen“, sagt ein Sprecher.

Auch in Hessen, Rheinland-Pfalz, Thüringen, Schleswig-Holstein, Sachsen und dem Land Berlin hält man auf Anfrage daran fest, die Bevölkerung sowohl in Impfzentren als auch in Arztpraxen zu immunisieren. „In Berlin gibt es aktuell keine Pläne, Impfzentren zu schließen und das Impfen ganz den Ärztinnen und Ärzten oder anderen Institutionen zu überlassen“, sagte eine Sprecherin der Gesundheitsverwaltung.

Die Bundesländer wollen also zunächst an ihren eigens unter Hochdruck aufgebauten Impfzentren festhalten. Schließlich können sich die meisten Ministerpräsidenten bis heute kaum mit Bildern von unter Vollast laufenden Impfzentren schmücken. Die Kapazität ist weiterhin vielerorts noch nicht ausgelastet. Zudem hat der Bund bis Ende September die Finanzierung zugesagt.

Neuer Impfrekord dank der Hausärzte

Die erste Woche, in der die Hausärzte mitimpfen, ist vorbei, und der Erfolg ist groß. Allerdings stehen den Praxen bisher nur wenige Dosen der Impfstoffe zur Verfügung. Doch die Aussichten sind rosig, denn schon bald rollt eine Impfstoffwelle auf Deutschland zu.

Quelle: WELT/ Matthias Heinrich

Dabei sollte sich der Engpass in den Hausarztpraxen ursprünglich Ende April entspannen. Das Bundesgesundheitsministerium hatte den Ärzten für die 17. Kalenderwoche, also ab dem 26. April, 3,17 Millionen Impfdosen angekündigt – also drei Mal so viele wie aktuell.

Dem aktuellen Lieferplan zufolge sind es für besagte Woche aber mittlerweile nur noch 1,5 Millionen Impfdosen von Biontech und AstraZeneca. Dem Ministerium zufolge hat dies damit zu tun, dass mit Großhandel, Praxen und Apotheken das Lieferprozedere neu abgestimmt wurde, da die Hersteller an unterschiedlichen Tagen lieferten. Dies verzögere die Versorgung um eine Woche. Die ursprünglich angekündigte Menge soll demnach erst ab dem 3. Mai in den Praxen ankommen. Alle Prognosen seien mit Unsicherheit behaftet, heißt es im Ministerium.

Und dann noch die AstraZeneca-Frage

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Vergangene Woche ist zudem ein weiterer Streitpunkt zwischen Hausärzten und Impfzentren hinzugekommen: Die Frage, wer Dosen von welchem Hersteller bekommt.

Während die Hausärzte zu Beginn hauptsächlich nur das Vakzin von Biontech/Pfizer erhalten haben, sollen sie ab kommender Woche zur Hälfte mit Dosen von AstraZeneca beliefert werden. Im Saarland soll sogar ausschließlich das Vakzin des britisch-schwedischen Herstellers an die Hausärzte geliefert werden. Das führt nun vielerorts zu Unmut.

„Wir Hausärzte werden dadurch massiv in unserer Arbeit eingeschränkt“, sagt etwa die Berliner Ärztin Irmgard Landgraf. Sie habe viele junge und schwer kranke Patienten, die dringend eine Impfung bräuchten, aber nicht mit AstraZeneca geimpft werden könnten. Diese müsse sie nun an ein Impfzentrum verweisen oder ihre Termine auf später verschieben.

Selbst manche Patienten über 60 Jahre, bei denen laut Empfehlung der Ständigen Impfkommission kein erhöhtes Risiko besteht, stünden einer Impfung mit AstraZeneca skeptisch gegenüber. „Durch die negative Berichtserstattung habe ich das Gefühl, dass ich meinen Patienten Sauerbier anbiete. Ich befürchte, dass die Dosen liegen bleiben könnten“, sagt Landgraf. Dabei sei AstraZeneca ein bewährter und guter Impfstoff mit einer sehr hohen Schutzwirkung vor scheren Krankheitsverläufen.

Der HNO-Arzt Christian Lübbers aus dem oberbayerischen Weilheim ist indes weniger besorgt. „Es gibt immer noch genug Patienten, die sich mit AstraZeneca impfen lassen würden.“ Lübbers bewertet die individuelle Beratungsmöglichkeit in den Praxen als Vorteil gegenüber den Impfzentren. Dort können Patienten, die sich noch unsicher sind, viel besser bei der Abwägung geholfen werden.