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Es war einer der umstrittensten Punkte, über den Union und SPD lange verhandelten, bevor sie sich endlich auf einen Koalitionsvertrag einigten: die Eindämmung befristeter Arbeitsverträge. Dann passierte mit dem mühsam vereinbarten Kompromiss lange nichts.

Doch nun hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kurz vor Ende der Legislaturperiode doch noch einen Gesetzentwurf vorgelegt, um das Herzensprojekt seiner Partei durchzusetzen. Der Entwurf liegt WELT vor, zuerst hatte das Redaktionsnetzwerk Deutschland darüber berichtet.

In erster Linie geht es um die sogenannte sachgrundlose Befristung. Bislang gilt, dass Unternehmen Mitarbeiter zwei Jahre lang befristen können, ohne das begründen zu müssen. Das soll nun um ein halbes Jahr verkürzt werden auf nur noch 18 Monate.

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Innerhalb dieser Spanne soll die Befristung nur noch einmal statt bislang dreimal verlängert werden können. Zweitens ist eine Quote vorgesehen: Arbeitgeber sollen künftig höchstens 2,5 Prozent ihrer Beschäftigten sachgrundlos befristen dürfen. Diese Regel gilt für Unternehmen mit mehr als 75 Beschäftigten.

Kettenbefristungen sollen weg

Ein drittes Kernanliegen des Ministers ist, Kettenbefristungen zu vermeiden – also dass Beschäftigte vom selben Arbeitgeber einen befristeten Vertrag nach dem anderen erhalten. Laut Gesetzentwurf soll die Grenze künftig auch bei Befristung mit Gründen wie Elternzeit oder Auftragsspitzen bei fünf Jahren liegen.

„Es gibt zu viele willkürlich befristete Arbeitsverträge, die vor allem für junge Menschen große Unsicherheiten in der Lebensplanung bedeuten“, sagte Heil den Zeitungen. Sachgrundlose Befristungen sollten „wieder zu der Ausnahme werden, als die sie ursprünglich gedacht waren“.

Quelle: Infografik WELT

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Während die Gewerkschaft Ver.di den Vorstoß begrüßte, sehen Experten ihn äußerst kritisch – gerade unter den aktuellen Krisenbedingungen. Unternehmen stünden angesichts der Corona-Pandemie vor enormen Herausforderungen, da unsicher sei, wie lange die wirtschaftlichen Probleme noch andauern, erklärt Hilmar Schneider, Chef des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA). „Ihnen ausgerechnet jetzt zusätzliche Fesseln anzulegen ist nicht hilfreich“, sagt er.

Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit kritisiert die vorgesehene Quote von 2,5 Prozent. Viele Befristungen gebe es in Betrieben, die großer Unsicherheit ausgesetzt sind oder besonders viel einstellen. „Denen macht man es durch die Quote besonders schwer“, sagt er. Das sei gerade jetzt kontraproduktiv, denn die Zahl der Neueinstellungen sei Corona-bedingt immer noch sehr niedrig und die Zahl der Arbeitslosen relativ hoch.

„Manche Betriebe könnten sich bei den neuen Regeln noch stärker zurückhalten, Personal einzustellen“, sagt Weber. „Das würde den Aufschwung am Arbeitsmarkt erschweren.“ Möglich sei, dass die Unternehmen zu anderen Lösungen greifen, die die Lage für die Beschäftigten sogar verschlechtern: nämlich verstärkt auf ebenfalls unsichere Beschäftigungsformen wie Leiharbeit oder Werkverträge setzen – oder gar nicht einstellen.

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Karl-Josef Laumann, Vorsitzender des CDU-Arbeitnehmerflügels CDA, beurteilt den Zeitpunkt für Heils Vorstoß ebenfalls kritisch. Er verstehe nicht, warum der Minister erst jetzt mit dem Gesetzentwurf komme.

„Das Thema hätte schon seit drei Jahren vom Tisch sein und vielen Menschen in der Pandemie den Job sichern können“, sagte Laumann WELT. Für sie komme das Gesetz zu spät. „Heute haben wir ganz andere, dringendere Probleme auf dem Arbeitsmarkt.“

Zunahme befristeter Verträge

Grundsätzlich befürwortet er aber, die sachgrundlose Befristung noch in dieser Legislaturperiode einzuschränken. Kettenbefristungen seien eine „Geißel für viele Arbeitnehmer“. Damit müsse Schluss sein.

Tatsächlich lag die Zahl der Menschen, die zunächst einen befristeten Job bekommen, 2019 bei rund 37 Prozent. Starke Anstiege wie in den 2000er-Jahren gab es zuletzt aber nicht mehr.

Quelle: Infografik WELT

Besonders betroffen sind junge Menschen. Für Arbeitnehmer hat das häufig Nachteile: So bekommen sie laut IAB-Experte Weber tendenziell weniger Gehalt, weniger Weiterbildungen und werden bei der Familienplanung durch ein erhöhtes Maß an Unsicherheit belastet.

Verbreitet ist die Befristungspraxis im öffentlichen Dienst, wo es sich allerdings häufig um Befristung mit Sachgrund handelt. Hier würden oft die befristet zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel angeführt, um Mitarbeiter nur für kurze Phasen einzustellen. „Daran wird sich durch den neuen Gesetzesvorstoß nur wenig ändern“, sagt Weber.

Andererseits hilft das Instrument Unternehmen, flexibel auf wirtschaftliche Veränderungen zu reagieren und Mitarbeiter zu erproben. Letzteres ist der häufigste Grund, weshalb Unternehmen befristet einstellen.

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Für die Beschäftigten hat das aber oft eine positive Folge: „Immer mehr Unternehmen übernehmen die Mitarbeiter nach der Befristung dauerhaft“, sagt Weber. Insgesamt liegt die Übernahmequote nach Befristungen laut IAB-Daten bei rund 44 Prozent, bei sachgrundlosen Befristungen sind es fast 72 Prozent.

„Das Hauptmotiv von Befristung ist also Erprobung, und die geht meist gut aus“, sagt Weber. Allerdings geht er auch davon aus, dass Veränderungen wie die Begrenzung sachgrundloser Befristung auf 18 Monate oder die nur einmalige Verlängerungsmöglichkeit durchaus verkraftbar für die Betriebe sind. Ob die Reform bis zur Bundestagswahl am 26. September zu schaffen ist, ist allerdings offen.

Die Grünen-Politikerin Beate Müller-Gemmeke warf Heil vor, sich in „wahlkämpferischen Ankündigungen“ zu üben. Diese seien zum Scheitern verurteilt, weil die Koalition sich nicht einigen könne.

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