Anzeige

Als Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kurz nach 13.30 Uhr am Mittwoch vor die Kameras und Mikrofone trat, hatte sie eine gute Nachricht dabei: 50 Millionen Dosen des Covid-19-Impfstoffs von Biontech/Pfizer, deren Lieferung eigentlich erst gegen Ende des Jahres geplant war, sollen jetzt bereits in den kommenden Wochen geliefert werden.

Für die Impfpläne der EU bedeuten die zusätzlichen Dosen einen willkommenen Schub an Zuversicht, nachdem der Hersteller Johnson & Johnson zuvor für Verunsicherung gesorgt hatte: Das amerikanische Unternehmen wird seinen Impfstoff vorerst in Europa nicht ausliefern, nachdem die zuständigen US-Behörden den Einsatz in den USA wegen sehr seltener, aber schwerwiegender Komplikationen vorerst ausgesetzt haben.

Für Europas Impfpläne war das ein schwerer Schlag. Die EU-Länder hatten sich von dem Impfstoff, der anders als die anderen bisher eingesetzten Impfstoffe nur einmal gespritzt werden muss, schnelle Fortschritte bei der Immunisierung der Bevölkerung erhofft.

Anzeige

Die Impfstrategie der EU leidet ohnehin bereits unter den Ausfällen beim AstraZeneca-Impfstoff. Nicht nur dass das britisch-schwedische Unternehmen seine Lieferversprechen wiederholt gebrochen hat. Das Auftreten seltener, aber schwerer Blutgerinnsel hat zudem das Vertrauen in den Impfstoff selbst erschüttert.

Dänemark beispielsweise verkündete am Mittwoch, künftig komplett auf das Vakzin von AstraZeneca zu verzichten. Diesen Luxus haben EU-Länder wie Österreich, die viel von dem sehr günstigen Präparat bestellt hatten, nicht.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung legt sich die EU-Kommission bei ihren künftigen Impfstoffbestellungen überraschend deutlich fest: Auf eine Technologie und auf zunächst einen einzigen Hersteller. Wie WELT bereits am Freitag berichtet hatte, will die Behörde einen Rahmenvertrag für Lieferungen von rund 900 Millionen Dosen von Impfstoffen der zweiten Generation abschließen.

EU-Juristen prüfen das Angebot von Pfizer

Anzeige

Außerdem will die Behörde eine Option auf 900 Millionen weitere Dosen sichern. Bei diesen insgesamt bis zu 1,8 Milliarden Dosen geht es um Impfdosen für Kinder und Jugendliche und für Auffrischimpfungen, die in den kommenden Jahren nötig sein dürften, um die Bevölkerung gegen bestehende und künftige Mutanten zu schützen.

Dabei will die EU zunächst nur mit einem einzigen Hersteller einen Vertrag abschließen – und das ist aller Voraussicht nach Biontech/Pfizer. Die Behörde hat das Unternehmen bereits angesprochen; die Mitgliedstaaten hatten diesem Vorgehen nach der Präsentation der Kommissionspläne am Freitag zugestimmt.

Aus Kommissionskreisen heißt es, dass ein entsprechendes Angebot für die 1,8 Milliarden Dosen von Biontech/Pfizer in der Nacht zu Mittwoch aus den USA geschickt worden sei. Im Moment beugten sich die Juristen der EU-Behörde darüber.

Anzeige

Der Vertrag dürfte noch einige Male über den Atlantik hin und her geschickt werden, aber in Brüssel ist man sich offenbar sicher, dass beide Seiten sich schnell einigen und dass die Mitgliedstaaten der Einigung zustimmen werden. Schon auf die Ankündigung des Vertrags am Freitag hätten die Vertreter der nationalen Hauptstädte im Lenkungsausschuss für die Impfstoffbestellungen sehr positiv reagiert.

Bereits am Freitag war auch klar, dass AstraZeneca und Johnson & Johnson künftig keine große Rolle mehr für die Impfungen in Europa spielen werden. Die EU-Kommission beharrt zwar darauf, dass Verträge mit den beiden Firmen nicht ausgeschlossen seien. Aber die Behörde macht gleichzeitig sehr deutlich, dass sie künftig auf eine andere Technologie setzt.

Wissenschaftlichem Rat folgend setze man auf Impfungen, die die moderne mRNA-Technologie nutzten, hatte die zuständige Generaldirektorin Sandra Gallina da erklärt. Derzeit gibt es drei Impfstoffe, die diese Technologie nutzen: Die von Biontech/Pfizer und Moderna sind in Europa bereits im Einsatz, der von CureVac ist noch im Zulassungsverfahren.

Vektorimpfstoffe werden von der EU nicht mehr berücksichtigt

Die Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson, die traditionelle Methoden nutzen, will die EU-Kommission offenbar erst einmal nicht mehr berücksichtigen. Das würde bedeuten, dass die laufenden Verträge mit den beiden Herstellern zunächst nicht verlängert werden.

Ein Vertrag für das in Russland entwickelte Sputnik V sei ohnehin unnötig, hatte Thierry Breton, der Impfbeauftrage der Kommission, vergangene Woche im Gespräch mit WELT erklärt.

Es ist ein durchaus riskanter Schritt der Kommission, sich so stark auf einen Hersteller festzulegen. Für die laufende Impfkampagne hat die Behörde das Risiko breit gestreut und hat Abnahmeverträge mit insgesamt sechs Herstellern abgeschlossen.

Jetzt sagte von der Leyen lediglich, dass weitere Verträge folgen könnten. Vier Präparate sind bereits lieferbar und das von CureVac soll im Juni zugelassen werden. Lediglich für den Impfstoff von Sanofi/GSK ist derzeit keine Zulassung absehbar.

Anzeige

Offenbar geht die Behörde davon aus, das Risiko eingehen zu können. Zum einen haben die neuartigen mRNA-Impfstoffe ihre Wirksamkeit bewiesen. Zudem waren Erfahrungen der Behörde mit Biontech/Pfizer bisher offenbar sehr positiv; das klingt in allen Gesprächen durch, die WELT in den vergangenen Monaten mit Personen geführt hat, die mit den Impfbestellungen vertraut sind. „Ich will Biontech/Pfizer danken“, sagte denn auch von der Leyen am Mittwoch. „Sie haben sich als verlässlicher Partner bewährt. Sie haben ihre Zusagen eingehalten und sie gehen auf unsere Bedürfnisse ein.“

Tatsächlich scheinen die Behörde und der deutsch-amerikanische Impflieferant gut aufeinander eingespielt: Als jüngst Österreich und einige osteuropäische Länder über eine ungerechte Verteilung von Impfstoff klagten, war Biontech/Pfizer plötzlich in der Lage, 10 Millionen Dosen früher als vereinbart zu liefern. Diese Dosen nutzte die Kommission, um die klagenden Länder ruhigzustellen.

Biontech liefert 50 Millionen Dosen zusätzlich in diesem Jahr

Und dass just in der Woche, in der die ersehnten Lieferungen von Johnson & Johnson vorerst gestoppt sind, plötzlich 50 Millionen Dosen von Biontech/Pfizer früher verfügbar sind, hilft von der Leyen ebenfalls. Dass gerade über 1,8 Milliarden Dosen verhandelt wird, dürfte dazu beigetragen haben, dass die zusätzlichen Dosen plötzlich verfügbar waren.

Die Europäische Kommission, deren Bestellpolitik in den vergangenen Monaten in vielen Mitgliedstaaten stark kritisiert wurde, will in dem Rahmenvertrag diesmal strengere Vorgaben machen.

Die ersten Dosen sollen bereits ab diesem Jahr geliefert werden, weitere Dosen in den kommenden beiden Jahren. Zudem soll sich Biontech/Pfizer auf monatliche Liefermengen verpflichten. Bisher hatten sich die Unternehmen nur auf Quartalsziele festgelegt.

Zudem kündigte von der Leyen an, dass die Produktion der 1,8 Milliarden Dosen praktisch komplett in der EU stattfinden soll. Der Vertrag werde dafür sorgen, „dass nicht nur die Produktion des Impfstoffs, sondern auch die aller essentiellen Komponenten sich in der EU befinden werden“.