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Die Coronakrise lässt Deutschlands Schulden explodieren. Im kommenden Jahr wird der Staat nach Berechnungen des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) mit 2,7 Billionen Euro in der Kreide stehen. Das entspricht 75 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Ein Drittel der Summe kam seit Ausbruch der Pandemie hinzu. Die Frage, wer die Zeche am Ende zahlt, wird nach der Bundestagswahl im September die politische Debatte beherrschen, zumal SPD, Linke und Grüne nach höheren Steuern für Vermögende und Besserverdiener rufen.

IW-Chef Michael Hüther hält Steuererhöhungen für konjunkturschädlich. Stattdessen plädiert der Ökonom für eine dauerhafte Lockerung der Schuldenregeln. Nicht nur der Bund, sondern auch die Länder sollten nach der Krise neue Kredite aufnehmen dürfen.

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In der Studie „Zum Umgang mit den Corona-Schulden“ propagiert das IW eine Änderung der Schuldenbremse. Diese im Grundgesetz verankerte Regelung erlaubt dem Bund außerhalb von Notzeiten nur eine minimale Neuverschuldung und den Ländern gar keine Schulden.

Das sei zu restriktiv, rügt Hüther. Denn die Digitalisierung und die Dekarbonisierung seien riesige Herausforderungen, die viel Geld erforderten. Das Gleiche gelte für die Alterung der Bevölkerung und den entsprechend steigenden Finanzbedarf der Sozialkassen.

Deshalb sollte sich der Bund nicht bloß wie bisher vorgesehen 20 Jahre Zeit für die Tilgung der Corona-bedingten Schulden nehmen, sondern 40 Jahre, fordert der IW-Chef.

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Darüber hinaus will der Ökonom dem Staat über einen neuen auf Pump finanzierten Schattenhaushalt mehr Spielraum für zusätzliche Investitionen verschaffen. Über einen Zeitraum von zehn Jahren sollten der öffentlichen Hand über ein rechtlich selbstständiges Sondervermögen jährlich 450 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stehen, um in Infrastruktur, Klimaschutz, Digitalisierung oder Bildung zu investieren.

Einen solchen „Deutschlandfonds“ hatte der IW-Direktor schon 2019 – also noch vor Ausbruch der Pandemie – zusammen mit dem gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) vorgeschlagen.

Angesichts der extrem niedrigen Zinsen sollte der Staat auch in guten Zeiten Schulden aufnehmen, um mit dem Geld die Investitionsquote zu erhöhen, lautete damals die Begründung für die Schuldenoffensive.

„Eine gewisse Ähnlichkeit“ zur grünen Agenda

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Die Idee eines auf zehn Jahre angelegten Investitionsplans hat inzwischen Eingang ins Wahlprogramm der Grünen gefunden, die dafür sogar eine Summe von 500 Milliarden Euro veranschlagen.

Und auch eine dauerhafte Aufweichung der Schuldenregeln ist Teil der grünen Wirtschaftsagenda. Der IW-Chef sprach bei der Präsentation seiner Studie denn auch „von einer gewissen Ähnlichkeit“. Es gebe einen breiten Konsens, dass Deutschland mehr Investitionen brauche.

Allerdings tun sich Bund und Länder derzeit schwer, die längst bewilligten und gut gefüllten Investitionstöpfe etwa für die Digitalisierung der Schulen oder die Infrastruktur überhaupt wie geplant zu nutzen. In der Corona-Krise hat die Bundesregierung weitere Investitionsgelder in Milliardenhöhe beschlossen.

Quelle: Infografik WELT

Doch ein Großteil der Gelder fließt gar nicht ab, weil es in der Verwaltung hakt und die Planungskapazitäten fehlen. Hüther hält es denn auch für unabdingbar, den Staatsapparat effizienter zu machen, damit das Abrufen der Investitionsgelder in Zukunft reibungsloser läuft.

Obgleich auch die Union und die SPD mehr Investitionen propagieren, plädieren sowohl CDU-Chef Armin Laschet als auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz im Gegensatz zur Parteispitze der Grünen für die Beibehaltung der Schuldenbremse.

Nach der Finanzkrise 2009 waren hierzulande die Schulden schon einmal kurzfristig in die Höhe geschossen. Damals lag der Schuldenstand mit 80 Prozent des BIP sogar höher als heute.

Quelle: Infografik WELT

Doch dank eines zehn Jahre währenden Aufschwungs, der für eine Rekordbeschäftigung und sprudelnde Steuer- und Beitragseinnahmen sorgte, sank der Schuldenstand, ohne dass die Politik Ausgaben kürzen musste. Im Gegenteil: Auch die Sozialausgaben stiegen kräftig. Der Staat profitierte stark von den sinkenden Zinsen.

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„Dieses Mal wird die Rückführung des Schulden schwieriger“, warnt Hüther. Zumal die Beschäftigung demografisch bedingt eher sinken wird. Immerhin ist sich das arbeitgebernahe Institut aber sicher, dass die Zinsen auf absehbare Zeit so niedrig bleiben.

Wie die IW-Berechnungen zeigen, könnte Deutschland auch bei der vorgeschlagenen Lockerung der Schuldenregeln wieder zurück zu soliden Staatsfinanzen gelangen – allerdings entsprechend langsamer.

„Auch bei Einrichtung eines Sondervermögens für Investitionen, einer moderaten Öffnung der Schuldenbremse und einem Strecken des Tilgungszeitraums auf 40 Jahre würde die Schuldenstandsquote kontinuierlich sinken – nicht zuletzt aufgrund positiver zu erwartender Wachstumseffekte durch das höhere Investitionsniveau“, heißt es in der Studie.

Im Jahr 2035 wäre man dann mit 61 Prozent nahezu wieder auf dem Niveau, das laut EU-Stabilitätspakt erlaubt ist. Allerdings darf in der Zwischenzeit nicht wieder eine Krise kommen.

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