Söders Sehnsucht

Es ist ja so eine Sache mit den Herzkammern. Der Mensch hat gleich zwei davon, eine linke, eine rechte. Die SPD hat nur eine, geografisch verortet in Dortmund (Herzkammer heißt bei den Sozis: Wahlergebnisse um die 30 Prozent).

Bei der CSU ist die (selbsterklärte) Herzkammer ein fluides Gebilde namens Landtagsfraktion. Im Moment sind das 85 Abgeordnete. Waren früher auch mal mehr.

Heute trifft sich diese schwarze Herzkammer im fränkischen Bad Staffelstein (46,4 Prozent bei der letzten Bayernwahl), Winterklausur nennen sie das. CSU-Chef Markus Söder hält eine »Grundsatzrede« als Ministerpräsident. Während es bei früheren Zusammenkünften zu politischem Herzflimmern kam (Grüße gehen raus an Edmund S.), hat Söder nichts zu befürchten von den eigenen Truppen.

Die klassische CSU-Winterklausuraggression wird sich nach außen richten, gegen den politischen Gegner. Womöglich wird Söder wieder Neuwahlen fordern – natürlich nicht in Bayern, hey, sondern in Deutschland. Weil CSU denkt groß, Sie wissen doch. »Wir sind bereit zu regieren, jederzeit«, so hat er es vor zwei Wochen formuliert. Und mit wem? »Deutschlandkoalition, wenn es denn nicht anders reichen würde, immer noch besser als Jamaikakoalition – und es klingt auch vom Namen deutlich passender.«

Sie fragen sich: Wer sind denn eigentlich die Goldenen in der Deutschlandkoalition? Und müsste es nicht korrekt Belgien-Koalition heißen? Najanu. Damit schalten wir rüber zur FDP.

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Wo geht’s zum Koalitionsausgang, bitte?

Es knirscht in der Koalition. Das Sparprogramm wurmt die SPD-Abgeordneten, der FDP-Chef wiederum ärgert sich über die »Anspruchsmentalität«. Einem führenden Unionsmann vertraut er sich an: Es fehle nur noch der »große Anlass« zum Koalitionsbruch.

Jetzt haben Sie gedacht, ich schreibe über die Ampelkoalition und den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner? Tja. Stimmt nicht. Die Szenen spielen 1981, gut ein Jahr vor dem Bruch der sozialliberalen Koalition.

Heißt: Die FDP ist erfahren, wenn es ums koalitionäre Beziehungs-Aus geht. 1982 ist ja nicht das erste Mal: Im Jahr 1966 schwächelt die Konjunktur, die Preise steigen, es gibt Streit um Steuererhöhungen. Schließlich verlassen die FDP-Minister die Regierung unter CDU-Kanzler Ludwig Erhard. Koalition kaputt.

Und immer wieder ist es der Haushalt.

1966, 1982, 2024? Ich will hier keine Gesetzmäßigkeiten konstruieren, aber muss schon zugeben, dass mich seit einigen Wochen ein gewisses historisches Déjà-vu-Gefühl beschleicht. Zum Beispiel Lindners Auftritt bei den Bauernprotesten vorgestern. Der Finanzminister hat dort gesprochen wie ein Oppositionspolitiker: Gegen die Sozialpolitik der Kanzlerpartei (»In unserem Land bekommen Menschen Geld fürs Nichtstun«), gegen die Ökopolitik der Grünen (»überzogene Umweltstandards«). Sucht der Mann den Ampel-Exit? Nach dem Motto: Mach kaputt, was bei den Leuten unbeliebt ist?

FDP-Vize Wolfgang Kubicki hat die »Nürnberger Nachrichten« wissen lassen: »Der Spirit, der zum Start der Ampel da war, löst sich auf.« (Haben Sie gerade »Sprit« gelesen? Ging mir auch so, diese ganze Agrardiesel-Geschichte nimmt uns alle ein wenig mit). Irgendwann, meint Kubicki, könnten die »Fliehkräfte« so stark werden, »dass mir langsam Zweifel kommen, ob es bis zur Bundestagswahl 2025 hält«. Heute Abend versucht es die Ampel noch mal mit Gemeinsamkeit: Im Bundestag steht die erste Lesung des Haushaltsfinanzierungsgesetzes 2024 an. Das ist das Sparprogramm (Stichwort Agrardiesel). Es bleibt spannend.

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Nach den Treckern kommen die Loks

Womöglich hat der massive Bauernprotest all jene ins Grübeln gebracht, die ebenfalls von den Sparplänen der Regierung betroffen sind, aber bislang unter dem Radar der Öffentlichkeit blieben. Zum Beispiel der Verband »Die Güterbahnen«.

Weil der größte Teil der Kürzungen im Verkehrshaushalt den Schienengüterverkehr betrifft, sollen heute um halb elf im brandenburgischen Wustermark 14 Güterzuglokomotiven unterschiedlicher Unternehmen aneinandergekoppelt werden, um dann hupend durch Berlin zu fahren, vorbei am Kanzleramt. Mein Kollege Serafin Reiber – den kennen Sie vielleicht aus unserem hörenswerten Podcast »344 Minuten: Das Bahn-Fiasko« – wird mit an Bord sein und darüber berichten.

Blockaden oder Staus kann es nicht geben, hat mir Serafin erklärt. Weil so eine Lok ja nicht einfach durch Berlin karriolt, sondern feste Slots auf der sogenannten Berliner Stadtbahn gebucht seien. Stadtbahn, das wissen die Bahn-Aficionados unter ihnen, das ist die Ost-West-Strecke, die mitten durch Berlin führt. Na denn, gute Reise.

  • 344 Minuten: Ihre Bahn-Fragen und Zugerlebnisse (Bonusfolge)

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  • Endlich wehrhaft: Nach dem Bekanntwerden eines rechtsextremen Netzwerks und seiner Deportationspläne gehen Tausende für ein Verbot der AfD auf die Straße. Es wurde höchste Zeit .

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Gewinnerin des Tages …

… ist Sahra Wagenknecht. Eben noch musste sie die Geldnot bei ihrem neuen Parteiprojekt »Bündnis Sahra Wagenknecht« (BSW) beklagen, nun darf sie sich über eine Spende in Höhe von einer Million Euro freuen.

Das Geld stammt nach Informationen meines Kollegen Timo Lehmann von einem reichen Ehepaar aus Ostdeutschland, das nicht prominent sei.

  • Finanzierung für neues Projekt: Ehepaar spendet Wagenknecht-Partei eine Million Euro

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihr Sebastian Fischer, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros